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Sport: Revolution von oben

Mit dem Ultimatum an Huub Stevens hat Hertha alle Regeln eines rationalen Krisenmanagements ad absurdum geführt

Manchmal beginnen Revolutionen damit, dass nichts getan wird. Nie werden wir erfahren, ob es Trotz, Loyalität, ehrlicher Glaube, falsche Berechnung oder schlicht Einfallslosigkeit waren, die zu jener ultimativen Vereinbarung führten, deren grotesker Wahrung wegen wir Huub Stevens auch weiterhin als Trainer von Hertha BSC ansprechen. Zu einem Zeitpunkt, an dem selbst Menschen, die keine emotionale Bindung zur Hertha pflegen – und in Berlin sind das die meisten –, nichts sehnlicher als eine Ablösung von Stevens wünschten, zog es Entscheider Dieter Hoeneß vor, nicht selbst zu urteilen, sondern urteilen zu lassen. Per Elfmetertritt, wie sich zeigen sollte.

Zwei Spiele, zwei Siege, so lautete die Ansage. Was manch versiertem Beobachter aus der Nachbetrachtung als taktisches Meisterstück erscheint, ließe sich mit gleichem Recht als offenes Bekenntnis der Führungsohnmacht deuten. Wie gern prahlt die Fußballbranche damit, ein Bundesligaverein sei als modern geführtes Großunternehmen zu begreifen und zu beschreiben. Doch hätte es eines weiteren Beweises für die fundamentale Irrationalität des Profi- Managements bedurft, so wurde er am Dienstag erbracht. Denn auch ohne die Entscheidungsstrukturen in Deutschlands Chefetagen im Einzelnen darzulegen, lässt sich eines mit Gewissheit festhalten: Wenn in der Wirtschaft millionenschwere Personalentscheidungen getroffen werden, sind Würfelspiel, Münzwurf oder Russisch Roulette als Findungsverfahren ausgeschlossen. Bisher jedenfalls blieb es in Deutschlands Unternehmenskultur undenkbar, eine Führungskraft mit der Begründung im Amt zu halten, sie habe bei der ausschlaggebenden Sitzung einen Sechser-Pasch gewürfelt. In diesem Sinne wagt Hertha seit Dienstag einen revolutionären Neuanfang.

Es war die offene Logik des Fußballs, die Hoeneß’ Hinhaltetaktik aufgehen ließ – und sie als rationales Krisenmanagement ad absurdum führte. Was auch immer für Stevens als Trainer sprechen mag, es gibt schlicht keine Möglichkeit, seinen Verbleib mit den Siegen von Rostock nachvollziehbar in Verbindung zu bringen. Wer hier die Wahrheit auf dem Platz suchte, würde nichts finden als einen beliebig verschossenen Elfmeter und eine Berliner Mannschaftsleistung, die zwar geschlossen war, sich aber auch ebenso geschlossen ins ernüchternde Leistungsbild dieser Saison, ja eigentlich der gesamten Stevens-Ära einfügte. Wem es, wie nun Herthas Führung, unmöglich ist, auch nur einen einzigen vernünftigen Grund für das Festhalten an einem ebenso erfolg- wie freudlosen Trainer zu nennen, der hat sich auch aller Möglichkeiten benommen, diesen Trainer in absehbarer Zukunft glaubwürdig zu verabschieden. Seit Dienstag wird mit anderen Worten alles, was bei Hertha weiter schief läuft, direkt und ultimativ auf Hoeneß zurückfallen.

Gelitten haben bisher alle, die Fans zunächst, wohl die Spieler und natürlich Stevens selbst. Man will sich nicht vorstellen, wie Herthas Trainer von Zufalls Gnaden die entscheidenden Sekunden empfunden hat. Einem kontrollfixierten Fußballlehrer, der nichts mehr hasst als den Einbruch des Zufalls ins Geschehen, muss der existentielle Elfmeterentscheid als persönliche Psychofolter erschienen sein. In der Tat: Hätte man das Ultimatum als präzis überwachten psychologischen Belastungstest angemeldet, seine Durchführung wäre von jedem Wissenschaftsrat untersagt worden: viel zu gefährlich und ethisch unverantwortlich. Der Bundesligafußball aber als lizenziertes Experimentalsystem zur Herstellung von Grenzsituationen kennt derartige Bedenken nicht. Und selbst wenn sie ihn kümmerten, sähe er im Zweifelsfall über sie hinweg. Immerhin, Huub Stevens lebt und spricht noch. Für kurze Zeit gab es gar Hoffnung, der wundersame Ausgang des Experiments habe, wie es bei wegweisenden wissenschaftlichen Experimenten der Fall zu sein pflegt, auch in Stevens’ Beschreibungssystem zu einer vollkommenen Neustrukturierung der Sicht- und Erfahrungsweise geführt, zu einer Art Erweckungserlebnis, das seine bislang wenig überraschungsfreundliche, lustfreie Vision des Fußballs grundlegend erschütterte. Vergebens. „Ich hoffe nicht, dass ich mich verändert habe“, sagte Stevens am Donnerstag.

Sollte diese ungerührte Einschätzung, wie vernünftig zu vermuten, auch für Herthas weitere Spielweise gelten, so stehen dem Verein die eigentlich revolutionären Maßnahmen erst noch bevor. Die nächste Revolution wäre jedoch alles andere als ein Kind des Zufalls. Und diesmal käme sie, wie jeder wahre Umsturz, von ganz unten.

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