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Sport: Riese im Ring

Boxen in Kempten: 2,13 m schlägt 1,81 m

Berlin - Statt „Boxen im Ersten“ aus dem Allgäu hätte die ARD zu mitternächtlicher Stunde auch den Klassiker „The harder they fall“ (deutscher Titel: „Schmutziger Lorbeer“) aus dem Archiv zeigen können. Das Thema wäre das gleiche gewesen: Ein Riese im Ring. Die Größe der körperlichen Maße und nicht der boxerischen Klasse als Sensation. Im Reality-TV von Kempten trat Nikolai Walujew als menschliches Monster von 2,13 Metern und 146,8 Kilogramm auf. Im Film maß Toro Molina nur 2,02 Meter und wog 130 Kilogramm. Vor 50 Jahren waren auch die Riesen noch kleiner.

Der Riese aus Russland bewegte sich genauso plump wie der Gigant aus den Anden. Nur argwöhnen wir nicht, dass Walujews 39 Siege gekauft wurden wie die Knockout-Serie Molinas, sondern gehen davon aus, dass alles mit rechten Dingen zuging. Dennoch: Das Ende in Kempten hatte einen faden Beigeschmack. Der 32 Zentimeter kleinere und 35 Kilogramm leichtere Amerikaner Gerald Nobles wurde in der vierten Runde wegen ständiger Tiefschläge disqualifiziert. Bei diesem gewaltigen Größenunterschied landeten Körperhaken fast zwangsläufig tief. Der Amerikaner musste die Arme schon gewaltig in die Höhe strecken, um den Kopf des Goliaths zu treffen, was ihm sogar zweimal gelang. Sven Ottke verdächtigte Nobles, nach der ersten Verwarnung mit gezielten Treffern unter Walujews Gürtellinie den elegantesten Weg zum Aussteigen gefunden zu haben. „Der Protest war nur Show“, behauptete der abgetretene Weltmeister.

Unbegreiflich ist es schon, dass für den Zwölf-Runden-Kampf um die internationale WBA-Meisterschaft offenbar der kleinstmögliche Gegner ausgesucht worden war. Ursprünglich war der Kampf gegen den Deutschen Meister Andreas Sidon vorgesehen und auch angekündigt worden. Der 1,96 Meter große Sidon hätte schon von der Statur her besser zu Walujew gepasst und hatte auch auf Einhaltung des angebotenen Vertrages gepocht. „Die haben kalte Füße bekommen“, kommentierte Sidon die plötzliche Ausladung, ist er doch der einzige Gegner, den Walujew nicht besiegen konnte.

Ihr Kampf vor fünf Jahren in Prag erinnerte in der Tat an „schmutzigen Lorbeer“, denn die Hintermänner Walujews hatten damals den Ringrichter nach drei Runden aufgefordert, den Kampf zu Gunsten Walujews abzubrechen. Ein Zuschauertumult brach los. Walujew und Sidon verständigten sich daraufhin zu einer Zirkusnummer: den Kampf ohne Kampfgericht über die angesetzte Distanz von sechs Runden fortzusetzen. „Kampf ohne Wertung“ steht nun in beider Rekordlisten.

Hartmut Scherzer

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