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Sport: Riese mit Seele

Von Oliver Trust Freiburg. Manchmal gehen der Fußball und die Heil- und Menschenkunde ineinander über.

Von Oliver Trust

Freiburg. Manchmal gehen der Fußball und die Heil- und Menschenkunde ineinander über. Kaum eine Mannschaft spürt das in den Tagen des WM-Trainingslagers in Freiburg so sehr wie die deutsche mit ihren vielen Problemkindern. Da ist Carsten Jancker, der nicht durfte wie er wollte und oft, in diesem Testspiel beim 7:0 über Kuwait, nicht konnte wie er sollte. Teamchef Rudi Völler hat in dem Moment die flehenden Rufe überhört und den Stürmer nicht ausgewechselt. Auf dem Rasen stand nun dieser Riese von Bayern München, die zweifelnden Gedanken zerrten an seiner Seele, er hatte aufgegeben und sich innerlich zur Flucht entschieden. Jancker kauerte zusammengesunken an der Mittellinie und sah mit leerem Blick in Richtung Oliver Bierhoff, der einen Elfmeter zu seinem dritten Tor verwandelte.

Da sind Sebastian Deisler, lange verletzt und nach 63 ermutigenden Minuten ausgewechselt, und Marko Rehmer, der „noch nicht völlig gesund“ gar nicht erst spielte. Eine Vorsichtsmaßnahme wie es hieß. „Man ist nach sieben Monaten Pause gedanklich noch nicht so weit. Die Gegner sind gedanklich schneller, sie können Situationen besser und schneller vorausahnen.“ So beschrieb Deisler die Situation. „Ich weiß, ich bin noch nicht fit, aber ich werde in den nächsten drei Wochen rackern, damit ich fit werde.“ Wie Jancker hat auch Deisler in dem Benefizspiel gegen die zweitklassigen Kuwaitis viel Zuspruch der Kollegen erfahren. „Wichtig“, sagte Rudi Völler nach den 90 Minuten, „ist vor allem der Teamgeist." Vor allem in einer Mannschaft, die ohne Führungsfiguren auskommen muss, auch weil sie wegen der vielen Ausfälle kaum die nötige Hierarchie entwickeln kann. Panik aber, das hat Völler erkannt, hilft nicht weiter. Einen nach dem anderen der Problemfälle, das hat er sich vorgenommen, will er kurieren.

„Es ist so wichtig, dass wir zusammenstehen vor so einem großen Turnier." Die Botschaft kam an diesem Abend nicht nur bei Carsten Jancker und seinen Mitspielern an. Sie kamen zu ihm und trösteten ihn. Alle paar Minuten stand einer neben ihm und streichelte ihn. Frust und Enttäuschung müssen bei Jancker ins Unermessliche gestiegen sein, als große Teile der Zuschauer Hohngesänge anstimmten. „Ohne Jancker fahr’n wir zur WM“, hieß es da und der aus dem Kader gestrichene Bundesliga-Torschützenkönig Martin Max wurde gefeiert. Jancker rannte und schoss. Ohne Glück. Vieles sah tragisch komisch aus. Sie haben ihn ausgelacht. Bis er zerstört wirkte und ihn Völler zurück ins Leben schubste, weil er ihm vertraute.

Jetzt leistete das Publikum Aufbauarbeit und feierte Jancker. Kein Hohn mehr, kein Spott. Jancker half sich selbst und schaffte immerhin das 7:0. Kapitän Oliver Kahn kam aus dem Tor übers halbe Feld gerannt und gratulierte Jancker, der seinen Verein in München verlassen soll und wochenlang kaum spielte. „Wir stehen für ihn ein. Das hat er gespürt“, sagte Völler. „Aber er muss lernen, dass die einfachen Tore genauso zählen wie die schönen. Er wollte wie wir sagen ein Übertor machen." Da war Oliver Bierhoff, der nach seinen drei Treffern in einer „Trainingseinheit auf hohem Niveau“ (DFB-Präsident Mayer-Vorfelder) wie der glücklichste Mensch auf der Welt wirkte. Auch ihn ließ Völler die Freude über die Erfolge gegen einen völlig überforderten Gegner auskosten. Bierhoff sog die kleinen Portionen Selbstwertgefühl gierig ein und dachte trotzdem an Carsten Jancker. „Beim Elfmeter habe ich auf Carsten gewartet, aber er ging weg. Es hat keinen Zweck, ihn auf Teufel komm raus zu zwingen. Ich habe das lange selbst gespürt. Wir sollten daran denken, dass wir alle 23 Spieler brauchen.“ Vielleicht hat dieses belächelte Spiel die deutsche Elf tatsächlich ein Stück vorwärts gebracht und gezeigt, dass für viele gilt, was Sebastian Deisler zunächst für sich allein beanspruchte. „Ich brauche die nächsten Wochen. Ich habe ein paar Bälle verloren, das passiert mir sonst nicht. Aber unter Druck setzen lassen will ich mich nicht. Es ist mehr eine Gratwanderung zwischen Anspannung, Motivation und Lockerheit, die ich durchmache.“ In Rudi Völlers Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Sorgen und Zuversicht.

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