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Rugby

© AFP

Rugby: Englands Ehre retten

Die Fußballer schwächeln, Rugby wird immer mehr zum Nationalsport – am Samstag geht es im WM-Finale gegen die starken Südafrikaner.

Von Markus Hesselmann

Sie haben ihm ein Denkmal gebaut – schon vor dem großen Spiel. Es steht am Trafalgar Square in London und zeigt den Rugbystar Jonny Wilkinson in der Pose des Kickers. Der Held nimmt Schwung, um den Ball hoch oben zwischen die Stangen zu treten und für England zu punkten. Genau das erwarten seine Landsleute heute von ihm, wenn der Titelverteidiger im Finale der WM in Paris gegen Südafrika spielt (20.55 Uhr live im DSF). Englands Fußballer haben versagt, wie eigentlich immer seit dem WM-Sieg 1966. Nach ihrem 1:2 im Qualifikationsspiel in Russland sind ihre Chancen, bei der EM 2008 dabei zu sein, nicht mehr allzu gut. Jetzt sollen Wilkinson und seine Kameraden die Ehre Englands retten. „Rugby hat an Popularität gewonnen“, sagt der britische Sporthistoriker Richard Holt. „Aus einem Sport für die südenglische Middle Class wurde ein Sport für die ganze Nation.“ Das habe durchaus mit der Schwäche der englischen Fußballer zu tun, sagt der Autor des Buches „Sport and the British. A Modern History“.

Wilkinsons Wachsfigur wurde aus Madame Tussauds Kabinett zum Trafalgar Square gebracht und auf einen Sockel gestellt. Unweit von Lord Nelson, der in der Schlacht von Trafalgar 1805 die spanische Armada versenkte. Die Nähe zum militärischen Helden ist durchaus passend. In diesen Tagen wird der Krieg wieder gern erwähnt auf der Insel - oder besser: die Kriege. Für englische Sportreporter findet sich noch immer ein Scharmützel, auf das man zurückgreifen kann.

Dass auch im Rugby jetzt immer öfter Kriegsvergleiche gebraucht werden wie sonst im Fußball, hängt für Richard Holt ebenfalls mit der Nationalisierung des Rugby zusammen. Der einstige Sport der Eliteschulen sei von der „weißen Arbeiterklasse und ihrer nationalistischen Kultur“ adoptiert worden. Zuvor begeisterten sich die nordenglischen Arbeiter bestenfalls für „Rugby League“, eine eigene, schon früh professionelle Variante des Rugby mit 13 statt 15 Spielern. Jetzt schaut die ganze Nation „Rugby Union“, die Spielart der WM, bis 1995 nur Amateuren vorbehalten. Vor dem Halbfinale gegen Frankreich beschworen englische Zeitungen den Geist Henrys des Fünften, der im Hundertjährigen Krieg die Franzosen bei Agincourt schlug – 1415, als wäre es gestern gewesen. Dann Waterloo, der große Sieg über Napoleon 1815. Für die Zeitung „Evening Standard“ hat der Duke of Wellington den französischen Kaiser damals ganz allein besiegt. Von Blücher und seinen Preußen keine Rede.

Vieles davon läuft unter britischer Humor. Doch für Richard Holt hat der ständige Rückgriff auf die Historie auch mit der Selbstsicht als „Inselvolk“ zu tun, das auf sich allein gestellt ist, vor allem nach dem Verlust des Empires. Nachbar Frankreich zum Beispiel ist seit dem 20. Jahrhundert immer ein wichtiger Verbündeter. „Doch davor liegt eine alte Geschichte der Gegensätze und Rivalitäten“, sagt Richard Holt.

Noch komplizierter ist die Beziehung zu Südafrika, dem heutigen Finalgegner. Der Burenkrieg, der Kampf der holländischstämmigen Siedler gegen die imperialen Briten am Ende des 19. Jahrhunderts, taugt jedenfalls kaum als Ansporn für heutige Heldentaten im Rugby. „Alle wollen nett sein zum neuen Südafrika“, sagt Richard Holt. Nelson Mandela und so. Dabei würden aber die guten Beziehungen unterschlagen, die englische Rugbyfunktionäre einst zum rassistischen Südafrika pflegten. „In der Zeit der Apartheid waren sie immer für Südafrika“, sagt Richard Holt. Die Boykottaufrufe des internationalen Sports wurden im Rugby immer wieder unterlaufen. „Darüber will heute niemand mehr reden.“

Und dann ist da noch die jüngste Sportgeschichte, die verfrühtes Triumphgeschrei verbietet. 0:36 verlor England in der Vorrunde dieser WM gegen Südafrika. Selten war es in englischen Pubs so ruhig wie an jenem Abend. Gut, dass der Jonny Wilkinson vom Trafalgar Square nur eine Wachsfigur ist – leicht und schnell wieder abbaubar.

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