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Sport: Russlands Renaissance

Sie gewinnen alles, was sie kriegen können, jetzt auch im Fußball Für das Land ist es ein Jahr des Erfolgs – dank Talenten, Taktik und viel Geld

Die Russen werden noch süchtig nach Wettbewerben, so viel gewinnen sie gerade. Tennis, Fußball, Eishockey – sogar den Eurovision Song Contest. Europameister im Singen sind sie also schon und vielleicht ja am Sonntag auch im Fußball. Eine europäische Fußballtrophäe steht auch schon seit Mai in Russland, der Uefa-Pokal, gewonnen von Zenit St. Petersburg. Und das Finale der Champions League fand zwar ohne russische Beteiligung statt, aber es wurde in Moskau entschieden. Der Mai war überhaupt ein Wonnemonat für die Russen: Maria Scharapowa kehrte an die Weltspitze des Tennis zurück (als eine von vier Russinnen unter den besten acht), und die russische Eishockeynationalmannschaft besiegte – nach fünfzehn Jahren ohne Titel – Kanada in einem berauschenden WM-Finale 5:4.

Mag im Banne der Olympischen Spiele auch alle Welt eine Dominanz der chinesischen Sportdiktatur prophezeien, Russlands Rückweg an die Weltspitze hat gerade erst begonnen.

Die Geschichte des Eishockeyteams, über vierzig Kalte-Kriegs-Jahre das Modell sportlicher Überlegenheit schlechthin, steht dabei beispielhaft für die Geschichte von Fall und Aufstieg des russischen Sports. Seit 1993 und damit seit dem Untergang der Sowjetunion hatte die Sbornaja kein großes Turnier gewinnen können. Wie in anderen Paradedisziplinen auch waren die russischen Stars und Talente umgehend in westliche Ligen abgewandert und darauf dem Rückruf ihres Nationalteams, wenn überhaupt, nur äußerst lustlos gefolgt.

Postsowjetisch ergaben sich nur im Tennis klare Leistungssteigerungen, was aber ausschließlich auf die Initiative ehrgeiziger Eltern zurückgeht, die ihre Sprösslinge bereits im Grundschulalter nach Florida schickten. Der Siegeseskorte russischer Tennisdamen gesellte sich eine global ähnliche dominante Garde russischer Schwergewichtsboxer hinzu, die ihrer Schlagkraft ebenfalls unter westlicher Anleitung den letzten Schliff gegeben hatte.

Doch jetzt sind die Zeiten des Talentexports vorbei. Heute wird keine russische Spitzenkraft mehr aus finanziellen Gründen die Heimat verlassen. Selbst für internationale Superstars wie den Brasilianer Ronaldinho ist ein Engagement in Russland mittlerweile eine ernsthafte Option. Das Niveau stimmt. Der Rubel auch. Von St. Petersburg bis Irkutsk entstehen neue, höchst moderne Arenen für neu organisierte, finanziell bestens ausgestattete Nationalligen. Wer nach den Gründen für die Sportrenaissance fragt, stößt auf eine nahezu ideale Mischung aus Raubtierkapitalismus, der es nationalistischen Kadereliten ermöglicht, die alten sozialistischen Strukturen zu neuem Leben zu erwecken und diese dann an finanzstarke Ligasysteme anzubinden. Demokratisierungsbestrebungen wären in diesem Zusammenhang tatsächlich nur störend. Denn gerade in Gesellschaften, in der kriminelle Eliten das Volksvermögen unter sich verteilen, bildet der Sport für die breite Masse die einzig aussichtsreiche Aufstiegschance. Aber seien wir nicht gehässig und vor allem nicht undankbar. Schließlich verdanken wir Zenit St. Petersburg die edelsten Momente dieser Klubfußballsaison. Kaum zu verkennen war dabei, wie Zenit eben jenes Offensivspiel technisch auf eine neue Stufe hob, mit dem die Teams des ausgezeichneten Trainers Valeri Lobanowski schon mal Mitte der 80er Jahre den Weltfußball taktisch revolutioniert hatten. Der neue Stil des fast nur aus Russen bestehenden Petersburger Teams verdankt sich vor allem einer Kontinuität eigener Ausbildungssysteme. Vor Ort konsequent verfeinert durch den strengen Niederländer Dick Advocaat, bildet Zenit damit ein glänzendes Beispiel für die Möglichkeiten, die eine von innen internationalisierte russische Sportkultur in Zukunft freilegen kann.

Am Sonntag könnte der nächste Höhepunkt kommen. Wobei: Wenn es so weitergeht mit Russlands Sport, wäre es nur ein Zwischenhoch.

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