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Sport: Scheitern beim Schießen

Norwegens Biathleten erfüllen die hohen Ansprüche nicht

Oberhof. Das Rennen war noch nicht vorbei, da stand die kleine norwegische Fahne schon ganz links auf dem Tisch, davor hing das Schild mit dem Namen „Ole Einar Björndalen“. Links sitzt der Zweitplatzierte bei den Pressekonferenzen der Medaillengewinner. Der mittlere Platz war für Raphael Poiree, den sicheren Sieger im Einzelrennen über 20 Kilometer bei der Weltmeisterschaft in Oberhof reserviert, nur rechts hing noch kein Schild. Würde Ricco Groß nach Gold und Silber auch Bronze gewinnen? Der Ruhpoldinger schaffte es nicht, er fiel auf den vierten Platz zurück. Stattdessen wurde die norwegische Flagge von links nach rechts gerückt. Mit dem Polen Tomasz Sikora hatte niemand gerechnet, der Weltmeister von 1995 schob sich auf Platz zwei vor.

Die große Überraschung aber war, dass Ole Einar Björndalen, vierfacher Goldmedaillengewinner der Olympischen Spiele von Salt Lake City 2002 und zweifacher Weltmeister 2003, erneut nur den dritten Rang belegte. „Mit drei Medaillen bin ich zufrieden“, sagte der Norweger. Doch es ist dreimal Bronze wohlgemerkt, auch im Sprint und im Verfolgungsrennen hatte es nicht zu mehr gereicht. Im kleinen Kreis hatte er sich weniger begeistert geäußert. „Ich will nicht mit zweimal Bronze nach Hause gehen“, hatte er Anfang der Woche gesagt. Und mit dreimal schon gar nicht. Außer Björndalen hat bei dieser WM noch keiner der favorisierten norwegischen Männer eine Medaille gewonnen. Lars Berger wurde gestern 24. - mit der schnellsten Laufzeit aller Teilnehmer, aber auch mit sechs Fehlschüssen. Titelverteidiger Halvard Hanevold wurde nur 38., Egil Gjelland 35., Stian Eckhoff 48. Alle verfehlten fünf- oder sechsmal das Ziel.

Für das deutsche Team lief es nicht besser. Sven Fischer bot eine starke Leistung in der Loipe, leistete sich aber fünf Schießfehler, drei davon bei der letzten der vier Schießprüfungen. Da es beim Einzelrennen Strafminuten statt Strafrunden gibt, landete Fischer nur auf Rang 23. „Er hat sich aus den Medaillenrängen geschossen“, sagte Bundestrainer Frank Ullrich, „der dritte Platz wäre toll gewesen, aber Groß hat eine ausgezeichnete Leistung gezeigt“.

Die Norweger aber waren als große Favoriten in die WM gestartet. Acht Weltcuprennen haben sie in dieser Saison gewonnen, fünf davon Björndalen, zwei Hanevold und eines Berger. In Ruhpolding im Januar hatten die Norweger in den Einzelrennen gar alle Podestplätze belegt. Bislang trösteten sich die Fans in der Heimat mit den zwei Goldmedaillen von Liv Grete Poiree, dem Gold der Frauenstaffel und Björndalens Bronze. Aber jetzt „brauchen die Männer Gold“, schilderte ein norwegischer Journalist die Stimmung in der Heimat.

Schnell sind die Biathleten der Langlaufnation Norwegen auch bei der WM: Björndalen machte bei Bronze in der Verfolgung sechs Schießfehler in der Loipe gut, Hanevold war im selben Rennen der schnellste auf Ski. Und Berger war gestern am schnellsten. „Er ist der schnellste Langläufer nicht nur unter den Biathleten, sondern weltweit“, sagt Ola Lunde. Er trainierte die norwegischen Männer bis 1998, war anschließend Björndalens Schießtrainer und arbeitet in Oberhof als Fernseh-Experte. Dass die norwegischen Männer traditionell mehr Probleme am Schießstand hätten, liege am System. „In Deutschland gibt es schon für Kinder eine gute Biathlonschule, das norwegische System bei der Schießausbildung ist schlecht.“ Der Schwerpunkt liegt beim Langlauf, dort ist die Konkurrenz riesig und der Druck schon im Training groß. Lars Berger wurde im vergangenen Jahr norwegischer Langlaufmeister, Björndalen kam bei Olympia 2002 im Langlauf über 30 km als Sechster ins Ziel, ehe er im Biathlon viermal Gold gewann.

Bei der WM scheinen die Nerven der norwegischen Männer nicht stark genug. Björndalens sechs Schießfehler am Sonntag seien eine mentale Sache gewesen, sagt Lunde. Hanevold beschwört auf seiner Homepage positives Denken und Autosuggestion – vergeblich. Und Berger nahm sich vor, am Schießstand die ersten beiden Schüsse ohne zu grübeln abzuhaken und so zu tun, als beginne er von vorne. Doch alle Tricks helfen nichts, Gold holen andere Nationen – oder die eigenen Frauen.

Helen Ruwald

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