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Sport: Schottischer als die Schotten

Zwischen Glasgow und Edinburgh hat Berti Vogts sich den Respekt erarbeitet, der ihm daheim versagt blieb

Kaunas. Die Schotten sind höfliche Menschen. „Für unsere Fußballfans war das vergangene Jahr eine harte Zeit“, schreibt der Leitartikler vom Glasgower „Herald“. Das ist zurückhaltend formuliert. Sieben Niederlagen in elf Spielen hat die Nationalmannschaft im Jahr 2002 kassiert. Im Süden der britischen Insel hätten die weniger zurückhaltenden englischen Kommentatoren dafür Wortschöpfungen gefunden, neben denen sich die in Deutschland gebräuchliche „Katastrophe“ wie ein Euphemismus lesen würde. In Schottland tut es eine „harte Zeit“.

Die genügsamen Schotten haben ihren Nationaltrainer Berti Vogts zur Verwunderung der zweifelnden Kritiker im Ausland in Ruhe weiterarbeiten lassen. Die Startschwierigkeiten wurden nicht dem Coach angelastet, sondern mit der mangelhaften Nachwuchsarbeit seiner Vorgänger erklärt. Berti Vogts durfte 42 Spieler (!) testen und sich sogar ein schmeichelhaftes Unentschieden bei den hauptberuflichen Fischern auf den Färöern leisten. Zur Disposition stand er nie. Jetzt feiern sie ihn sogar ein bisschen, und das nach einem 2:1-Sieg über das drittklassige Island. „Es scheint, dass die Mannschaft wieder in Fahrt kommt“, steht im „Glasgow Herald“. Völlig unerwartet fnden sich die Schotten nach vier Spielen in der EM-Qualifikationsgruppe 5 auf Platz eins wieder, vor Vogts’ deutschen Landsleuten. Bei einem Sieg heute in Kaunas gegen Litauen würden die Schotten die Tabellenführung gar ausbauen.

Die Momentaufnahme in der Qualifikation ist nicht die einzige Statistik, die in Schottland als Bestätigung für die Arbeit des neuen Trainers ausgelegt wird. In der Rangliste des Weltverbandes Fifa haben sich die Schotten um fast 50 Plätze verbessert – bis auf Platz 13. Berti Vogts aber hat andere Zahlen im Sinn, und die gefallen ihm weniger. Es ist das sensationelle 1:1 der Litauer am Samstag in Nürnberg gegen die Deutschen, das den schottischen Trainer ein wenig aus dem Rhythmus gebracht hat. „Die Litauer sehen jetzt eine Chance, den zweiten Platz zu erreichen. Die werden sich gegen uns zerreißen.“

Es sind Tage wie die vor dem Spiel in Litauen, in denen Vogts sich schottischer gibt als die Schotten selbst. Ein wenig irritiert hat er vor dem Spiel gegen Island festgestellt, „dass einige meiner Spieler ja nicht einmal die Nationalhymne mitsingen“. Vogts kennt den Text auswendig: „Flower of Scotland, when will we see Your like again…“ In Schottland staunen sie, dass es ausgerechnet ein Deutscher ist, der von den Schotten mehr Patriotismus fordert. Wie sehr die schottische Sache seine Sache ist, hatte Vogts schon bei seiner Amtseinführung demonstriert, als er sich selbst den Künstlernamen Berti McVogts gab. Das kam gut an in der schottischen Presse.

Vogts hat sich in seiner kurzen Zeit in Schottland den Respekt erworben, um den er sich in Deutschland immer geprellt sah. Dazu gehört auch, dass nach dem Sieg gegen Island nicht einmal die Boulevardblätter von einer Renaissance des schottischen Fußballs träumen. Im „Scotsman“ etwa wird vor überzogenen Erwartungen gewarnt, erst im Spiel gegen Litauen werde sich zeigen, „wie viel Potenzial in der schottischen Mannschaft steckt“. Am weitesten wagt sich noch der „Daily Record“ vor: „Wenn sich die Mannschaft konzentriert, dann hat sie eine gute Chance auf den zweiten Platz“. Berti McVogts hätte es nicht anders formuliert.

Timm Schröder

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