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Deutliche Reaktion. Schwedens Jimmy Durmaz trat nach den Beschimpfungen gegen ihn und seine Familie vor die Presse. Seine Botschaft: „Fuck Racism.“

© dpa

Schwede wird von eigenen Fans beleidigt: "Fuck Racism!": Nationalspieler auf Bewährung

Schwedens Jimmy Durmaz wurde zum „Verräter“ erklärt. Schuld ist einfach nur ein Foulspiel. Und seine Herkunft – wie bei Mesut Özil und Ilkay Gündogan.

Der schwedische Nationalspieler Jimmy Durmaz trat am Montag im Beisein seiner Teamkollegen vor die Presse und setzte mit einer emotionalen Ansprache und dem anschließend gemeinsam gerufenen „Fuck Racism!“ ein wichtiges Zeichen. in den Tagen davor sah sich der Mann mit den türkischen Wurzeln in den sozialen Medien rassistischen Beleidigungen und Morddrohungen ausgesetzt. Er, der als Sohn syrisch-aramäischer Christen im schwedischen Örebro geboren wurde, weil seine Eltern vor religiöser Diskriminierung aus der Türkei ins weltoffene Schweden geflohen waren, sei ein „Verräter“, ein „Moslem-Hurensohn“, der „zurück in seine Heimat“ gehen solle.

Durmaz hatte sich nicht mit einem Autokraten ablichten lassen oder zum Anheizen seines Ofens Astrid-Lindgren-Bücher verwendet. Der 29-jährige Mittelfeldspieler hatte einfach nur ein Foul begangen. In der Nachspielzeit. Den fälligen Freistoß drehte dann Toni Kroos zum 2:1-Siegtreffer für Deutschland in den Knick. Vielen Menschen in Schweden reichte diese unglückliche Verkettung von Ereignissen schon, um Durmaz sein Schwedischsein abzusprechen. Schließlich hatte er es ohnehin nur auf Bewährung.

Debatte geht in die falsche Richtung

Ilkay Gündogan dürfte das bekannt vorkommen. Zurecht wurden Mesut Özil und er für ihr gemeinsames Foto mit dem türkischen Präsidenten kritisiert. Doch was eine Debatte über politisches Verantwortungsbewusstsein hätte sein sollen, reiste stattdessen als Diskussion über nationale Zugehörigkeit mit der deutschen Mannschaft nach Russland. Das Deutschsein zweier hier geborener und aufgewachsener Menschen wurde in Frage gestellt.

Zwar ist es müßig, über die Gründe für Gündogans blassen Auftritt gegen die Schweden zu spekulieren. Der sonst so ideenreiche Mittelfeldspieler von Manchester City verlegte sich hauptsächlich auf Querpässe zum Nebenmann. Vielleicht hatte der für den verletzten Rudy eingewechselte Ex-Dortmunder einfach nur nicht seinen besten Tag. Vielleicht reagierte er aber auch auf die Pfiffe von den Zuschauerrängen, die sein Spiel erneut begleiteten, und entschied sich dazu, möglichst fehlerfrei durch die Partie zu kommen.

Man könnte es ihm nicht einmal verübeln. Je länger die Erdogan-Affäre zurückliegt, umso mehr legen die Pfiffe gegen Ilkay Gündogan den Deckmantel einer sachlichen Kritik ab und entlarven sich selbst. Sie wirken wie der Ausdruck einer bisher einfach nur zurückgehaltenen Unzufriedenheit darüber, Spieler wie ihn in der deutschen Nationalmannschaft tolerieren zu müssen.

Aus Berliner Perspektive lächerlich

Selbst ich, der Sohn einer dänischen Mutter, weiß, wie es sich anfühlt, nur unter Auflagen dazuzugehören. Mein Migrationshintergrund ist denkbar unspektakulär. Trotzdem hat er schon von klein auf eine Rolle gespielt. „Kanake“, flog es mir beim Fußballspielen auf dem Pausenhof an den Kopf. Ich war in der ersten Klasse und wusste überhaupt nicht, was ein Kanake ist. Im Duden steht: „Ausländer, Angehöriger einer anderen, fremden Ethnie (diskriminierendes Schimpfwort)“. Das wollte mein Mitschüler damals wohl zum Ausdruck bringen.

Aus einer Berliner Perspektive klingt das vielleicht lächerlich. Schließlich ist mir mein Anderssein in diesem Land nicht anzusehen. Nur bin ich nicht in Berlin aufgewachsen, sondern in einem kleinen Eifeldorf, in dem schon Übersiedler aus dem Nachbarort noch Generationen später als Zugezogene gelten. Insbesondere zu Sportereignissen wie einer Fußball–WM war die eine Hälfte meiner Herkunft immer wieder Thema. Als stünde der Verdacht im Raum, ich könne ja eigentlich nicht richtig für Deutschland halten.

Niemand sollte sich beweisen müssen

Weil ich eben nicht „richtig deutsch“ sei. Meine Freunde und ich verfolgten die Deutschland-Spiele der WM 2010 in Südafrika beim Public Viewing in der Kölner Lanxess Arena. England 4:1 geschlagen. Argentinien 4:0 geschlagen. Wir lagen fremden Leuten in den Armen und feierten eine furiose deutsche Mannschaft, in der ein junger Mesut Özil ganz groß aufspielte. Bis einer meiner Freunde beiläufig anmerkte: „Niklas, du bist doch gar kein Deutscher. Du bist doch Däne.“ So sehr er das im Spaß sagte, so sehr trafen mich diese Worte. Sogar in den Köpfen meiner Freunde war hinterlegt: Der da ist anders.

Ein Satz von Jimmy Durmaz stach aus seiner Ansprache besonders hervor: „Ich bin Schwede und stolz darauf, das Trikot und die Flagge zu tragen.“ Darin schwingt ein Gefühl mit, sich als Schwede (oder Deutscher) beweisen zu müssen, das sogar mir – einem ansonsten sehr privilegierten Halbdänen – bekannt vorkommt. Und das nicht nur Ilkay Gündogan bekannt vorkommen dürfte, sondern sicherlich auch vielen anderen Leuten in Deutschland. Einem Land, das sich dieser Tage manchmal mehr wie ein kleines Eifel- dorf anfühlt, in dem Menschen, die schon seit Generationen hier leben, immer noch als Zugezogene gelten.

Niklas Levinsohn

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