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Sport: Schweizer Import

Mit persönlicher Überzeugungsarbeit lockt Hertha den Trainer des FC Zürich in die Bundesliga

Berlin - Lucien Favre meldete sich auf Französisch. „Oui?“ Zeit zum Telefonieren hatte der Fußballtrainer allerdings nicht am Freitagabend, denn er bestieg gerade ein Flugzeug, das ihn nach Berlin bringen sollte. Heute Mittag wird der 49 Jahre alte Schweizer in seiner neuen Heimat vorgestellt: als Trainer von Hertha BSC. „Es klappt mit Hertha“, sagte Favre dem Tagesspiegel. Zuvor hatten das auch Favres alter Klub, der FC Zürich, und Hertha mitgeteilt.

Mit einer kurzfristigen Reise in die Schweiz hatte Herthas Manager Dieter Hoeneß den Trainer vom Wechsel nach Berlin überzeugt. Der war nach einer mündlichen Zusage gegenüber Hertha doch noch ins Grübeln gekommen – auch, weil er mit Meister FC Zürich in der Champions League spielen könnte. In der Nacht zum Freitag entschied sich der von beiden Vereinen Umworbene dann für die Bundesliga. „Monsieur Favre wird aus dem vorhandenen Potenzial bei Hertha das Optimale machen“, sagte Hoeneß auf Nachfrage. Für Favre, der in Zürich eigentlich bis 2008 unter Vertrag stand, zahlt Hertha eine Ablösesumme von 200 000 Euro, heißt es aus Vereinskreisen.

Favre wird in der Fußballbranche als akribischer Arbeiter und analytischer Taktiker geschätzt. Er erhält in Berlin einen Dreijahresvertrag und soll die Mannschaft neu aufbauen. Schnelle Erfolge schreibt die Vereinsführung ihm nicht vor. „Wir erwarten keine Wunder“, sagte Hoeneß. Dass sich Favre, der in der Schweiz gerade wieder zum Trainer des Jahres gewählt worden ist (siehe unten), von einem Wechsel überzeugen ließ, hat wohl auch mit einer langen gegenseitigen Beobachtung zu tun, denn Favre und Hertha sind sich 2001 im Uefa-Cup begegnet. Damals trainierte Favre Servette Genf und warf die Berliner unter Jürgen Röber aus dem Wettbewerb. „Es ist leicht, gegen eine Mannschaft zu gewinnen, die mit hohen Bällen agiert“, hatte Favre nach dem 3:0-Sieg seines Teams im Olympiastadion gesagt. Die klare Analyse war Herthas Vereinsspitze schon damals aufgefallen – und auch Favre hatte Hertha fortan im Blick. Um über das Angebot aus Berlin nachzudenken, ließ er sich DVDs mit Spielen des Bundesligisten schicken. Zudem erbat er sich Informationen über die Nachwuchsarbeit des Vereins.

Den Wechsel hat sich Favre nicht leicht gemacht. Er lebt mit Frau und zwei Kindern in der Schweiz, und mit dem FC Zürich ist er wiederholt Meister geworden. Als er Hertha am Mittwoch seine Zusage immer noch nicht gegeben hatte, reiste Hoeneß spontan nach Zürich. „Wenn man die Initiative ergreift, kommt man leichter zum Ergebnis“, sagt ein Verantwortlicher von Hertha. Neue Spieler und größere finanzielle Bezüge seien ihm dabei aber nicht angeboten worden, hieß es. Michael Preetz habe als Leiter der Lizenzspielerabteilung nicht in die letzten Verhandlungen eingegriffen. „Wir haben uns im Vorfeld natürlich beraten“, sagte Hoeneß. „Aber solche Entscheidungen habe ich zu treffen, und auch die Verhandlungen habe ich geführt.“

In einer Telefonkette wurde in der Nacht zum Freitag die Führungsspitze des Vereins von Aufsichtsratschef Werner Gegenbauer in Kenntnis vom geglückten Transfer gesetzt. Mitglieder des Beteiligungsausschusses lobten die Trainerfindung, äußerten jedoch die Sorge, Interimstrainer Karsten Heine könnte zu lange hingehalten worden sein. Heine selbst sagte: „Ich fühle mich nicht übergangen.“ (siehe Interview rechts)

Die Trainerentscheidung bei Hertha war am Ende auf ein Duell zwischen Favre und Heine hinausgelaufen. „Hätte Monsieur Favre abgesagt, hätten wir Karsten Heine genommen“, sagte Hoeneß. Heine soll nun wieder die aus Regionalliga abgestiegene Nachwuchsmannschaft betreuen und zudem die Ausbildung koordinieren. Gespräche darüber sollen in der kommenden Woche stattfinden.

In Zürich gab es nach Angaben aus Vereinskreisen derweil Ärger um Favres Abgang. Fredy Bickel war als Sportchef des FC Zürich stets die wichtigste Ansprechstation für Favre gewesen. Umso enttäuschter ist Bickel nun, weil er von Favre lange nicht über den nahenden Abgang informiert wurde. Erst gestern Mittag sprachen beide wieder miteinander – und Bickel teilte Favre mit, dass er sich ein anderes Vorgehen gewünscht hätte. „Ich bin enttäuscht, dass wir nicht informiert wurden“, sagte Bickel, der Favre auf Nachfrage viel Glück wünschte. „Die Trennung schmerzt schon.“

Heute will sich Lucien Favre in seiner neuen Heimat vorstellen. Das dürfte ihm nicht schwer fallen: Er spricht neben seiner Muttersprache Französisch auch gut Deutsch. Und Worte sind wichtig für ihn. „Ich nenne das Poesie – das funktioniert in der Muttersprache problemlos“, hat Favre einmal gesagt. Um einen Spieler zu motivieren, brauche er präzise Worte: „Die richtigen Sätze im richtigen Moment. Aber das mit der Sprache ist nicht dramatisch und nur eine Frage der Zeit.“ Die will ihm Hertha lassen.

Die Trainer von Hertha BSC: Seite 23

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