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Die gelbe Wand. Schwimmer wie Paul Biedermann fordern schon eine Medaille für die lautstarke Unterstützung der Schwimm-Jugend.

© nordphoto

Schwimm-EM in Berlin: Gold für Gelb

Im Velodrom herrscht eine fröhlich-familiäre Stimmung – auch dank der deutschen Schwimm-Jugend, für die der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) ein Zeltlager errichtet hat.

Zwischen den Wettkämpfen lungern sie überall herum. Auf dem Betonboden vor dem Velodrom, im Vorraum der Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark, am Bratwurststand, auf den Stufen zum S-Bahnhof Landsberger Allee. Die Teenager in den gelben T-Shirts wirken erschöpft, ihre Habseligkeiten haben sie großräumig um sich herum verteilt, viele tippen schweigend auf ihren Handys herum. Wenn allerdings die Schwimmrennen und Sprungwettbewerbe bei der EM beginnen, sind die Jugendlichen voll da: Dann brüllen, klatschen und singen sie, bisweilen wird die gesamte gelbe Wand zu einer Tanzformation, die alle Blicke in der Halle auf sich zieht. Ohne die deutsche Schwimm-Jugend wäre die Stimmung bei der Europameisterschaft weniger ausgelassen – und weniger laut.

Bei seiner letzten Heim-EM 2002 hatte der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) ein Jugendcamp ins Leben gerufen, seitdem richtet er zu jeder großen internationalen Meisterschaft ein Zeltlager aus. Zurzeit campieren 180 Jugendliche aus ganz Deutschland auf dem Zeltplatz Saatwinkel am Tegeler See, jeden Tag fährt die ganze Gruppe quer durch die Stadt zu den EM-Wettkämpfen – erst zum Freiwasserschwimmen nach Grünau, jetzt zu den Hallenwettbewerben an die Grenze von Friedrichshain und Lichtenberg. Dank der DSV-Jugend kommen die Schwimmer und Springer auch bei ihren Morgen-Sessions, wenn das Velodrom noch halbleer und verschlafen wirkt, in den Genuss von Jubel, Anfeuerung und Applaus. Bei den fast vollständig ausverkauften Endkämpfen ist es ohnehin laut genug, nur noch mit viel Glück kann man an der Abendkasse Tickets für Sitzplätze mit eingeschränkter Sicht ergattern.

Es ist ein Fachpublikum, das noch bis zum Sonntag in die Hallen strömt. Viele Besucher tragen Trainingsjacken von Schwimmvereinen – egal, ob sie aus Deutschland, Polen oder Dänemark kommen. Fast jede Nation hat einen kleinen Fanblock im Velodrom. Bei den Vorläufen brandet plötzlich in einer Ecke der Halle großer Jubel auf, wenn eine schwedische Schwimmerin als Erste anschlägt oder es ein Italiener hauchdünn ins Halbfinale schafft.

Diese fröhliche Internationalität steigert sich noch bei den Finals am Abend, wenn alle Lücken auf der Tribüne geschlossen sind. Am lautesten wird es aber natürlich, wenn ein deutscher Schwimmer in aussichtsreicher Position auf die letzte Bahn geht. Wie am Mittwochabend, als Paul Biedermann über 200 Meter Freistil Silber gewann. „Dieses Publikum – und die deutsche Schwimm-Jugend – hätten eigentlich Gold verdient“, sagte Biedermann hinterher.

Die deutschen EM-Starter sind sehr dankbar für die organisierte Unterstützung

Anna-Julia Meyer freut sich natürlich über solche Aussagen. Die 32-Jährige war als Betreuerin schon beim ersten Jugendcamp vor zwölf Jahren dabei, mittlerweile ist sie die dienstälteste im Team. Die meisten der Teilnehmer haben für zwei Wochen 360 Euro bezahlt, andere haben die Zeit in Berlin für herausragende Leistungen im Nachwuchsbereich des Schwimm-Verbands als Belohnung geschenkt bekommen. Meyer sagt, beide Seiten – Jugendliche und EM-Starter – würden profitieren. Die Teenager, die allesamt selbst im Verein aktiv sind, erleben eine sportlich und kulturell spannende Ferienzeit und kommen ihren Idolen nahe. „Und die EM-Schwimmer freuen sich auf uns und sind dankbar“, sagt Meyer. „Es ist für Schwimmer wirklich wichtig, dass Leute zu ihnen kommen und sie als Stars feiern.“ So eine Behandlung bekämen sonst nur die absoluten Spitzenathleten wie die US-Amerikaner Michael Phelps oder Ryan Lochte. „Wassersportler sind ja nicht so verwöhnt wie Fußballer“, sagt Meyer. „Obwohl es eine große Sportart ist, ist es ja eher ein Sport, der nicht so wahnsinnig viel in der Öffentlichkeit stattfindet.“

Bei der EM trifft die Breite auf die Spitze. Von dem Fußweg vor dem Velodrom kann man durch die großen Fenster in die Schwimmhalle blicken, die die EM-Athleten zum Warmschwimmen nutzen. Viele Besucher bleiben auf dem Weg ins Velodrom stehen, versuchen einen prominenten Sportler auszumachen oder sich bei der Starttechnik etwas abzuschauen. Wie fair es in Berlin zugeht war auch am Freitagabend zu sehen: Alle Zuschauer, auch die der anderen Nationen, bejubelten den überraschenden Weltrekord des Briten Adam Peaty über 50 Meter Brust. Der 19-Jährige blieb im Halbfinale in 26,62 Sekunden fünf Hundertstelsekunden unter der fünf Jahre alten Bestmarke des Südafrikaners Cameron van der Burgh aus der Ära der Hightechanzüge.

Die deutsche Schwimm-Jugend ist auch an diesem Freitagnachmittag im Einsatz, zuerst bei den Wasserspringern. Nach dem Ende der Wettkämpfe führen sie wieder einen kleinen Tanz auf, schlurfen ins Freie und nehmen nur ein paar Minuten später ihre Plätze im Velodrom ein. Am Samstag und am Sonntag wird es genauso laufen. Geschlafen wird nach der Europameisterschaft.

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