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© Wolff

Schwimmanzug im Test: Die schnellste Pelle der Welt

In den neuen High-Tech-Anzügen kommt man sich lächerlich vor – bis man ins Wasser springt. Dann wird verständlich, wieso sie die Welt des Schwimmens revolutioniert haben. Ein Selbstversuch.

Michael Phelps sagt, in seinem Hightech-Rennanzug komme er sich vor wie eine Rakete. Ich fühle mich darin wie eine Wurst. An Land schnürt der „LZR Racer“ der Firma Speedo seinem Träger beinahe die Luft ab, er spannt sich wie eine enge Pelle über der Haut, es ist unangenehm heiß darin. Erst beim Sprung ins Wasser verstehe ich, was Phelps meint: Ich fühle mich zwar nicht wie ein Fisch, aber immerhin wie ein Fischotter. Der Anzug lässt mich leichter vorangleiten, ich scheine weniger Widerstand zu haben. Kein Wunder, dass die gesamte Schwimmwelt seit Monaten über Sinn und Unsinn der Anzüge streitet.

Der Unsinn ist offensichtlich: Im Kreuzberger Prinzenbad, am Wannsee oder auf Rügen würde ich für mein grau-schwarzes Außerirdischen-Outfit ausgelacht werden. Hier aber, im Becken des Olympiastützpunkts an der Landsberger Allee, wo sich die deutschen Schwimmer für Leistungssteigerungen von Hundertstelsekunden quälen, macht der Anzug plötzlich Sinn. Ich spüre, dass er mir mehr Auftrieb verleiht. Beim Kraulschwimmen liege ich höher im Wasser, beim Schmetterling benötige ich weniger Kraft. Beim „Toten Mann“ kommt es mir ein bisschen so vor, als schwömme ich im Toten Meer und nicht in Chlorwasser. Jetzt fühlt sich der Anzug gar nicht mehr komisch an, sondern völlig natürlich, wie eine zweite Haut. Als ich aus dem Becken klettere, perlt das Wasser an mir ab und bildet zu meinen Füßen eine Pfütze.

Die unsichtbaren Nähte an meinem Anzug kann ich nur erspüren, wenn ich mit dem Finger darüber fahre, laut Speedo wurden sie mit Ultraschall verschweißt. Dass ich jetzt mit so wenig Widerstand durchs Wasser gleiten kann, liegt auch daran, dass der Anzug im Windkanal der Nasa getestet wurde. 131 Weltrekorde wurden 2008 im Schwimmen gebrochen, die meisten davon im „LZR Racer“. Phelps gewann in dem Modell in Peking acht olympische Goldmedaillen und schwamm dabei siebenmal Weltrekord. Die Konkurrenz hat inzwischen aufgeholt, auch in Modellen wie dem „Hydrofoil“ von Adidas oder dem „Powerskin“ von Arena bringen Schwimmer Spitzenleistungen. Die Firmen stecken Millionen in die Entwicklung – und geben diese Kosten an die Käufer weiter. Gemeinsam ist allen Anzügen, dass sie teuer sind, den Wasserwiderstand minimieren und den Körper zusammendrücken. Das macht sie so eng, dass man sich hineinquälen muss.

Netterweise hat Speedo ein Lehrvideo ins Internet gestellt, das den Weg in den Anzug Schritt für Schritt erläutert. An diese Anweisungen halte ich mich streng – wenn ich den dünnen und nicht einmal 500 Gramm schweren Stoff mit einem Fingernagel einreiße, ist das 460 Euro teure Wunder wertlos. Erst ein Fuß, dann der zweite – da soll ich wirklich reinpassen? Mein Testexemplar ist Größe L, Hochleistungsschwimmer ordern ihre Anzüge oft eine Nummer zu klein, um den Effekt der Kompression noch zu verstärken. Zentimeter für Zentimeter zerre ich den Anzug nach oben, er verströmt einen Geruch zwischen Neopren und Zeltplane. Endlich sitzt er wie ein Korsett um meine Hüfte, zwei Leute – wie im Lehrvideo empfohlen – müssen mir helfen, den Reißverschluss auf dem Rücken zu schließen. Nach knapp zehn Minuten Fummeln, Fluchen und Schwitzen bin ich bereit für den Praxistest. Hoffentlich reißt das Ding nicht, wenn ich auf den Startblock steige.

Als es bei der Wahl der Badehose noch allein um Farben und Muster ging, war ich als Jugendlicher mal West- Berliner Meister mit der Staffel. Regelmäßig trainiert habe ich aber schon ewig nicht mehr. Ohne Anzug, in normaler Badehose, bin ich gerade 50 Meter Freistil in handgestoppten 29,37 Sekunden geschwommen. Schon nach dem Startsprung im Rennanzug habe ich das Gefühl, dass ich diesmal schneller sein werde – die psychologische Wirkung ist nicht zu verachten. Die australische Olympiasiegerin Lisbeth Trickett hat einmal gesagt, Rennen in ihrem Anzug kämen ihr vor „wie Bergabschwimmen“.

Bei der WM in Rom müssen die Hersteller ihre Modelle allen Athleten zur Verfügung stellen – sofern sie regelgerecht sind. Streit gibt es trotzdem: Zwei Französinnen klagten vergeblich vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas, weil der Weltverband Fina ihre Anzüge verboten hat, während ein Konkurrenzmodell zugelassen wurde. Um solche Diskussionen zu beenden und Schwimmen wieder puristischer zu machen, hat die Fina Ganzkörperanzüge ab dem 1. Januar 2010 verboten. Doch noch sind sie erlaubt, auch in Rom werden die Weltrekorde in Serie fallen.

Davon bin ich weit entfernt. Nach 35 Metern komme ich zu dem Schluss, dass ich wohl doch hätte trainieren sollen: Die Arme werden schwerer, die Züge unkontrollierter. Auf den letzten Metern hilft mir der Anzug, weil ich durch die höhere Wasserlage das bisschen verbliebene Kraft ganz in den Vortrieb stecken kann. Nach 28,83 Sekunden schlage ich an – fünf Zehntel schneller als ohne Anzug.

Dass man in einem Hightech-Anzug keine Schmerzen spürt, wie Britta Steffen nach ihrem ersten von zwei Weltrekorden über 100 Meter Freistil im Juni sagte, kann ich allerdings nicht bestätigen. 

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