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Sport: Sie fürchten nur die eigene Schwester

BERLIN .Die erste Investition in die Karriere seiner Tennis-Töchter mußte Richard Williams lange vor dem allerersten Ballwechsel aufbringen.

BERLIN .Die erste Investition in die Karriere seiner Tennis-Töchter mußte Richard Williams lange vor dem allerersten Ballwechsel aufbringen.Das war im Jahr 1985, als die Williams-Familie in Compton lebte, einem berüchtigten Stadtteil von Los Angeles.Dort, wo der Tennisplatz lag, herrschte das Recht des Stärkeren.Und der starke Mann im Viertel war ein gewisser "Leutnant Cool-Aid".Diesen Gangster besänftigte Daddy Williams mit Schutzgeld.Als Gegenleistung durften seine Kinder Serena und Venus unbehelligt auf dem Court ihre ersten Tennisübungen absolvieren.100prozentig funktionierte der Deal nicht immer: Bei einem Banden-Streit flogen plötzlich Kugeln durch die Luft.Venus riß ihre jüngere Schwester zu Boden, gemeinsam robbten sie zurück ins elterliche Haus."Es war furchtbar", sagt Venus, "aber es hatte auch einen Vorteil: Du wirst hart im Nehmen".

Es ist weit gekommen mit den beiden Mädchen aus den Slums, die ihr Vater "meine Cinderellas aus dem Ghetto" nennt.Venus Williams ist nach knapp drei Jahren Profitennis auf der WTA-Tour bis auf Platz 5 der Weltrangliste vorgerückt, ihre jüngere Schwester Serena, die in dieser Woche erstmals in Berlin antritt, spielte sich dank eines sensationellen Siegeszuges im Februar und März 1999 auf Rang 9 der Charts vor.Das soll erst der Anfang der großen Williams-Show sein.Spätestens zur Jahrtausendwende soll nach dem Willen der tüchtigen Schwestern die Machtübernahme im Welttennis beschlossene Sache sein.Beide treten mit keinem anderen Ziel an, als schon im Jahr 2000 die Nummer eins der Welt zu sein.Niemand soll ihnen dabei noch gefährlich werden oder in die Quere kommen, keine Martina Hingis, keine Monica Seles, keine Anna Kurnikowa und keine Steffi Graf.Furcht gibt es im Weltbild der beiden Perlen-Mädchen nur vor der jeweils anderen Schwester.Serena kontra Venus.Venus kontra Serena.Wer sich in diesem speziellen Duell durchsetzt, weiß nicht einmal Richard Williams: "Selbst wenn ich eine Ahnung hätte, würde ich schweigen wie ein Grab".

Der frühere Gelegenheitsarbeiter und langjährige Nachtwächter hat seine Kinder als Autodidakt auf den geraden Weg zum Tennis-Ruhm gebracht, hat die Botschafter der gierigen Marketing-Giganten der Szene abblitzen lassen.Er allein bestimmt.So hat er verhindert, daß seine Kinder schon mit 14, 15 Jahren in den internationalen Nachwuchs-Circuit einsteigen.Eltern, die das tun, sagte er einem Reporter des "Florida Sun Sentinel", "gehören auf der Stelle erschossen".Williams wußte, was Schlagzeilen bringt.Und er wußte, daß seine "Cinderellas" im Wert nur noch steigen, je seltener er sie der Öffentlichkeit zeigte.Wunderkinder, deren Wundertaten niemand sehen und bestaunen kann, erhöhen nur die Neugier.

Es ist die Zeit, in der in der Tennisbranche von amerikanischen Insidern raunend die Mär verbreitet wird, es wüchsen zwei "Supertalente" heran, die einmal das Welttennis auf den Kopf stellen können.Im Camp arbeiten die Schwestern hart daran, diesen Prognosen gerecht zu werden.Sechs Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche geht das Ausbildungsprogramm.Die Williams-Schwestern spielen meist mit Männern Tennis, sie üben Kampfsportarten, und spielen gelegentlich sogar Football.Dabei entwickeln sie jene Muskelpakete, über die heute alle Welt mit großen Augen staunt.Nur auf die Tour, hinaus in die große, weite Welt, durften sie eben noch nicht."Wir hatten immer eine Jennifer Capriati als Warnung vor Augen.Die war mit 14 zwar schon ein weltweiter Superstar, aber mit 17 erledigt", sagte Venus Williams.

Die Zurückhaltung lohnte sich.Heute wissen das alle.Denn die unverbrauchten Williams-Schwestern kamen zwar langsam, dabei aber gewaltig in den Wanderzirkus.Ihr kraftvolles, unbarmherziges Spiel reißt die staunenden Massen mit.Ein Spiel, bei dem sie auf jeden einzelnen Ball hauen, als sei es der letzte in ihrem Tennis-Leben.Dazu liefern die Power-Kinder noch das unerläßliche Stückchen schriller Show, das in der modernen Mediengesellschaft zum guten Ton und Bild gehört.Doch das narzißtische Entertainment und der steile Aufstieg der beiden Mädchen wird nicht überall im neiderfüllten Tennis-Reich von purer Anerkennung flankiert.In den Spielerlounges lautet das Motto eher: Wir, der Rest der Welt, gegen Williams und Williams.Die abweisende, eiskalte Atmosphäre hat der Williams-Clan zu großen Teilen selbst zu verantworten.Denn Vater Williams will nicht, "daß Serena und Venus Freundinnen im Tennis haben".Er will Abgrenzung, Abschottung, Abtrennung.Zweisamkeit macht Venus und Serena stark: "Wir sind die besten Freundinnen", sagt Serena, die Jüngere, "wir streiten nie.Seit unserer Kindheit haben wir uns immer gegen alle solidarisiert."

Nur die direkten Duelle auf dem Centre Court sollen die beiden tunlichst meiden.Mit Ausnahme der Grand-Slam-Turniere und der amerikanischen Großturniere wie Key Biscayne wird es Williams gegen Williams nicht geben.Das hat Papa Williams dekretiert, um Schadenfreude darüber zu vermeiden, "daß die eine Williams die andere Williams schlägt".Williams will schließlich immer und überall zuletzt lachen.

JÖRG ALLMEROTH

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