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Sport: Sie lieben sich doch alle

Inzaghis Tore, Trapattonis Worte – Italien liegt sich in den Armen

Rom. Manchmal können Tore wie höhnische Fragen durch die Arena klingen. Jeder der drei Treffer von Filippo Inzaghi war eine kleine Spitze gegen die zuletzt hochgejubelten Konkurrenten im Angriff der italienischen Nationalelf. Als habe er fragen wollen „Wer sind Totti, Del Piero, Vieri?“ hat sich der Stürmer des AC Mailand im heimischen Giuseppe-Meazza-Stadion am Samstag mit drei Toren innerhalb von zehn Minuten mitten in das Herz Italiens geschossen und seinem Land den ersten Pflichtspiel-Hattrick seit Paolo Rossi beschert.

Nach dem 4:0 (0:0) der „Squadra Azzura“ im Europameisterschafts-Qualifikationsspiel gegen Wales, mit dem Italien auch die Führung in der Gruppe 9 übernommen hat, waren die drei, die die Fachwelt noch beim glücklichen 1:0-Sieg gegen Deutschland vor wenigen Wochen als Helden verehrte, nahezu vergessen.

Francesco Totti war ohnehin verletzt ausgefallen. Alessandro Del Pieros Leistung, der nicht nur wegen eines verwandelten Elfmeters eine ansprechende Partie bot, ging im Getöse um den dreifachen Torschützen unter. Und Christian Vieri versuchte glücklos, die Hoffnungen der Nation zu erfüllen. Sein Einsatz war wegen einer Knieverletzung vor der Partie ohnehin fraglich. Im Spiel, in dem Wales nur eine halbe Stunde überzeugend dagegen halten konnte und das ganz auf den Torschützenkönig der Seria A zugeschnitten schien, hatte er etliche Torgelegenheiten und vergab sie allesamt.

Symptomatisch war eine Szene gegen Ende der Partie, bei der der Stürmer auf 5:0 hätte erhöhen müssen. Vieri war exzellent freigespielt worden, hatte den walisischen Torhüter Jones schon umkurvt, verlor aber beim Versuch, den Ball weiter zu kontrollieren das Gleichgewicht, strauchelte und ging zu Boden. Verzweifelt blieb er dort einige Sekunden mit flehendem Blick zum Himmel liegen.

In der Manier eines tröstenden, großmütigen Herrgotts versuchte Filippo Inzaghi die Missgeschicke des Sturmpartners vergessen zu machen, indem er in den übergeschnappten Ton des Abends einfiel und die offen sichtbare Erleichterung Vieris nach dem hochverdienten 1:0 interpretierte. „Habt ihr gesehen wie groß die Freude in seinen Augen war, obwohl ich getroffen habe?“, fragte Inzaghi in die Runde. „Zwischen uns gibt es keine Eifersucht, sondern eine Freundschaft, die auf dem Platz und auch außerhalb besteht. Ein Tor von mir ist auch seines und umgekehrt.“

Den Schlusspunkt in der von mystifizierenden Worten durchsetzten Nacht setzte der erleichterte Trainer Giovanni Trapattoni, der, obwohl sein Team die letzten sieben Spiele in Folge gewinnen konnte, wegen seiner meist risikofreien und defensiven Taktik häufig in der Kritik steht. „Vor einer Woche“, erzählte Trapattoni, „bin ich um sechs Uhr früh aufgewacht und hatte eine Eingebung. Ich habe mir gesagt: Um Wales zu schlagen, musst du genau so spielen lassen.“ Niemand wusste, was „genau so“ bedeuten sollte, aber Antworten bedurfte es an diesem Abend nicht. Fragen sind manchmal genug.

Julius Müller-Meiningen

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