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Sport: Sieg nach Elfmeterchen

Italien besiegt Australien durch einen umstrittenen Strafstoß in der allerletzten Sekunde und zieht ins Viertelfinale ein

Jetzt bloß nicht noch ein Tor kassieren! Drei Minuten Nachspielzeit sind angezeigt, und die Italiener müssen sie irgendwie überstehen. Sie haben die fünf Minuten Pause vor der Verlängerung dringender nötig als der Gegner aus Australien. Italien hat sich fast die gesamte zweite Halbzeit über mit nur zehn Spielern durch die Nachmittagshitze von Kaiserslautern gequält. Marco Materazzi, der Verteidiger von Inter Mailand, ist nach einem Foul an Marco Bresciano vom Platz gestellt worden, glattes Rot, eine höchst umstrittene Entscheidung des spanischen Schiedsrichters Medina Cantalejo. Es wird nicht seine letzte gewesen sein.

Noch zwanzig Sekunden. Fabio Grosso bekommt den Ball auf der linken Seite, die Australier sind weit aufgerückt. Grosso dribbelt, vorbei an Bresciano, hinein in den Strafraum, Lucas Neill wirft sich direkt in den Lauf des Italieners, bleibt vor ihm liegen, Grosso fädelt ein, so ähnlich, wie Bernd Hölzenbein das 1974 im WM-Finale gegen Holland getan hat. Grosso stürzt, Craig Moore drischt den Ball weg, aber der Schiedsrichter hat schon gepfiffen. Elfmeter. „Eine dramatische Fehlentscheidung“, wird Australiens Trainer Guus Hiddink später sagen. „Der Schiedsrichter hat so gut gepfiffen, und dann macht er so einen Fehler.“ Gennaro Gattuso wird ihm beipflichten: „Das war kein Elfmeter, allenfalls ein Elfmeterchen. Hätte er nicht Materazzi vom Platz gestellt, hätte er den niemals gegeben.“ Selbst „La Gazzetta dello Sport“, Italiens Sportjubelblatt Nummer eins, wird zugeben müssen: „Umgekehrt hätten wir Komplott geschrien.“ Im allgemeinen Durcheinander dauert es zwei Minuten, bis Francesco Totti zur Ausführung schreiten kann. Nervös? Aber warum denn?! Totti läuft mit kurzen Schritten an und drischt den Ball halbhoch in die linke Ecke, vorbei an den Händen von Mark Schwarzer, der vergeblich fliegt. Tor, der Schiedsrichter zeigt zur Mitte und pfeift das Spiel gar nicht mehr an. Italien siegt 1:0 und steht im Viertelfinale.

Die Spieler in den blauen Trikots tanzen auf dem Rasen, sie jagen den Schützen, der mit dem Daumen im Mund jubelt, eine gewöhnungsbedürftige Geste, er grüßt damit Frau und Sohn in der Heimat. Totti sagt, er habe sich nicht wohl gefühlt, „das Tor war so klein und der australische Torwart so groß“, aber dann habe ihn Andrea Pirlo zum Schuss überredet. Eine weise Tat.

Von der anderen Seite des Platzes kommt Gianluigi Buffon angerannt. Der Torwart hat sich beim Elfmeter weggedreht, „ich konnte es nicht mit ansehen, noch nie habe ich so gelitten“. Buffon hat seiner Mannschaft mit drei Paraden das sportliche Überleben bis zur Nachspielzeit ermöglicht, die Kommission des Weltverbandes Fifa wählt ihn zum „Man of the Match“. „Diese Ehrung hat die ganze Mannschaft verdient“, sagt Buffon. „Alle haben großartig gekämpft.“

Gespielt haben sie weniger großartig. „Schon bei elf gegen elf hatten wir alles unter Kontrolle“, sagt Hiddink. Als Materazzi dann nach gerade fünf in der zweiten Halbzeit gespielten Minuten vom Platz gestellt wurde, wird der Holländer in australischen Diensten schon mal vom Viertelfinale geträumt haben. „Eine sehr harte Entscheidung“ sei die Rote Karte gewesen, sagt Hiddinks italienischer Kollege Marcello Lippi. „Es war ein Foul, aber kein schweres.“ Von der rechten Seite ist Materazzi in den Lauf von Bresciano gegrätscht. Gelb hätte es wohl auch getan.

Im Spiel elf gegen zehn haben die Australier größere Mühe als zuvor, denn die Italiener verdichten geschickt das Mittelfeld und lassen wenig zu. Was an Schüssen auf ihr Tor fliegt, klärt der überragende Buffon mit der ihm eigenen Souveränität. Sie haben sogar die besseren Torchancen. Bei einem Konter hätte Gennaro Gattuso nur noch den mitgelaufenen Alessandro Del Piero anspielen müssen, doch der Defensivspieler, nicht gerade ein Filigrantechniker, hebt den Ball unkonzentriert und viel zu hoch für den kleinen Turiner in den Strafraum. Kurz darauf ist Schluss für Del Piero, der überraschend für Totti in die Mannschaft gerückt ist und sich völlig verausgabt hat. „Wir mussten Kräfte sparen“, sagt Trainer Lippi später, „Francesco hat eine lange Verletzungspause hinter sich und braucht Zeit.“

Eine Viertelstunde vor Schluss hat Lippi den Römer dann doch auf den Platz geschickt, und er ist noch gar nicht richtig im Spiel angekommen, als Fabio Rosso den Ball über die linke Seite treibt. Noch zwanzig Sekunden bis zur Verlängerung. Jetzt bloß kein Tor kassieren!

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