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Sport: Sind Stürmer die besseren Trainer?

Gedanken zum Verhältnis von Theorie und Praxis im modernen Fußball

Vor wenigen Wochen noch hatte FußballDeutschland zwei gewaltige Probleme. Erstens ein Trainerproblem, zweitens ein Stürmerproblem. Das erste Problem wurde gelöst, indem – einem bewährten Muster folgend – ein ehemaliger Stürmer zum Teamchef ernannt wurde. Auf einmal traf auch der unfähige Sturm wieder! Diese Wundertaktik sollte Anlass zu einer grundsätzlichen Frage geben: Gibt es im Fußball eine Beziehung zwischen Theorie und Praxis? Wenn ja, welcher Art ist sie? Gibt es, konkreter gefragt, eine nachweisbare Beziehung zwischen den Qualitäten, die einen Trainer ausmachen, und den Qualitäten, die diesen Trainer als Spieler ausmachten?

Es darf als gesichert gelten, dass solch eine Beziehung besteht. Denn wäre dem nicht so, würde die Trainerpolitik des DFB seit Jahren auf einer vollkommen haltlosen Prämisse beruhen. Und diese fatale Diagnose träfe nicht nur den DFB, sondern den gesamten Profifußball, weltweit. In keiner anderen Sportart werden ehemalige Spitzenspieler so zügig und ungeprüft als Spitzentrainer eingestellt wie im Fußball.

Im Fußball gibt es bekanntlich sehr verschiedene Spielpositionen, deren Anforderungsprofil sich deutlich unterscheidet. Gewöhnlich ist ein Spitzenspieler im Verlauf seiner Karriere auf eine Position festgelegt. Mit anderen Worten: Praxis ist im Fußball nicht gleich Praxis. Es macht einen Unterschied, ob man ein Spiel 25 Jahre aus der Perspektive des Torwarts oder etwa der des Mittelstürmers wahrnimmt. Sollte es tatsächlich einen engen Zusammenhang zwischen Praxis und Theorie geben, wäre zu erwarten, dass sich solche positionsbedingten Unterschiede auf das spätere Trainerdasein auswirken. Die Vision eines Ex-Stürmers wird sich von der Spielvision eines ehemaligen Torwarts unterscheiden. Und würde das, was der Trainer denkt und will, tatsächlich auf dem Feld umgesetzt, sollten diese Unterschiede empirisch nachweisbar sein.

Ein Spitzentrainer bedarf, als Kernkompetenz, der Fähigkeit zur taktischen Gesamtschau. Er muss die Funktionsweisen sämtlicher Mannschaftsteile in ihrer mannigfachen Verbundenheit zu jedem Spielzeitpunkt überblicken und einschätzen können. Theoretisch wäre deshalb zu erwarten, dass sich zur Schulung dieser Kompetenz gewisse Spielpositionen eher eignen als andere. Positionen, in denen der Feldspieler das Spiel vor sich sieht und beständig aktiv mitgestalten muss. Die Position des Liberos, des zentralen Defensivmannes sowie natürlich des Spielmachers wären offensichtliche Kandidaten für zukünftige Spitzentrainer. (Und Gestalten wie Beckenbauer, Augenthaler, Sammer, Del Bosque, Cruyff oder Magath treten sofort vor das geistige Auge.) Am wenigsten wäre in diesem Zusammenhang gewiss von ehemaligen Stürmern zu erwarten. Denn Geschick und die Gewitztheit, die ihren Erfolg bedingen, sind nicht vorrangig taktischer Natur. Ihre Eingebundenheit ins Ganze ist oft lose, gerade in entscheidenden Situationen muss ihnen unbedingter Egoismus als Überlebensmaxime gelten.

Der Abwehrspieler schließlich, gerade der technisch schwache, bildet einen Sonderfall. In seinem Trainerdasein mag er dem Selbstverwirklichungsdrang folgen, nun sämtliche Feinheiten auf dem Feld zu realisieren, die ihm selbst in der Praxis verwehrt blieben. Paradebeispiel für diesen Typ wären die ehemaligen Klopper Ernst Happel oder Arséne Wenger. Zu denken wäre ferner an Christoph Daum, Thomas Schaaf, dem Bestreben nach sicher auch Berti Vogts.

Es ist ein amüsantes Spiel, die gesamte Fußballgeschichte auf das Verhältnis zwischen Spielertyp und Trainertyp hin zu befragen. Das Dumme ist nur: Es kommt dabei nichts Verwertbares heraus. Ein aussagekräftiger Zusammenhang zwischen Trainerstil und ehemaliger Spielposition lässt sich nicht auffinden. Das eigentliche Rätsel bilden die ehemaligen Stürmer, also genau jene Gruppe, von denen qua Position kaum etwas zu erwarten gewesen wäre. So sind Ottmar Hitzfeld, Alex Ferguson und Mario Zagallo, die erfolgreichsten Trainer des letzten Jahrzehnts, alles ehemalige Stürmer; der geniale Valeri Lobanowski war sogar Linksaußen! Theoretisch ergibt sich damit: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Position und Trainerdasein, der sich theoretisch einholen ließe. Schlichter gesagt: Die Theorie ist falsch.

Diese Diagnose wirkt zurück auf das angenommene Grundverhältnis von Theorie und Praxis. Es ist völlig unklar, ob und welches Bedingungsverhältnis zwischen den Kompetenzen eines Spitzentrainers und denen eines Spitzenspielers besteht. Fast scheint es, als sei der Zusammenhang zwischen diesen beiden Berufen nicht enger als der zwischen Spitzenspieler und Manager eines mittelständischen Unternehmens. Das passt nun wieder. Denn in Managerposten pflegen unsere Profis ja ebenso ungeprüft und erfahrungslos gehievt zu werden wie in Trainerpositionen. Besonders Stürmer.

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