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Ungewohnt langsam ins Tal. Juliane Seyfarth durfte beim Weltcup in Slowenien am Sonntag nicht im Einzelwettbewerb von der Schanze springen.

© Madlen Krippendorf

Skispringen: Weltcup in Slowenien: Seyfarth wegen ihres Anzuges disqualifiziert

Juliane Seyfarth und andere Springerinnen wurden disqualifiziert – warum die Regeln keine Gnade kennen.

Juliane Seyfarth sprang – und hatte kaum Zeit, sich zu freuen oder zu ärgern. Denn plötzlich hieß es: Sprung ist ungültig, disqualifiziert. Und das passierte der Skispringerin nicht etwa, weil sie zu früh gestartet war – sondern, weil ihr Anzug gegen die Regeln verstieß.

Bei den Richtlinien geht es penibel zu und das zu Recht, weil nicht das Material sondern die sportliche Leistung des Menschen entscheiden soll. Ob die Form des Helms eines Zeitradrennfahrers, die Höhe des Heckflügels von einem Formel-1-Boliden oder Material und Passform eines Skisprunganzuges – das technische Equipment leistet einen elementaren Beitrag zum Erfolg der Sportler*innen in den unterschiedlichen Disziplinen. Da daraus immer wieder Wettbewerbsvorteile entstehen, wird die Ausrüstung kontinuierlich und detailliert reglementiert, um der Maxime der Fairness gerecht zu werden. Verstöße werden konsequent mit einer Disqualifikation geahndet. Das durfte die deutsche Skispringerin Juliane Seyfarth in der Qualifikation am Freitag beim Skisprung-Weltcup im slowenischen Ljubno am eigenen Leib erfahren. Beim Teamspringen am Samstag durfte die Thüringerin noch springen, im Einzel am Sonntag nicht.

Der Internationale Skiverband (Fis) disqualifizierte die Weltcup-Dritte von 18/19 nach ihrem Wertungssprung, weil ihr Anzug nicht den Richtlinien der Fis entsprach. „Der Hüftumfang des Anzuges war geringfügig zu weit“, sagte Horst Hüttel, sportlicher Leiter beim Deutschen Skiverband (DSV) für die Disziplinen Nordische Kombination und Skisprung, dem Tagesspiegel. Auch die US-amerikanische Nina Lussi, die Slowenin Jerneja Brecl und die Französin Josephine Pagnier schloss die Fis wegen Verstößen gegen Punkt vier der Spezifikationen an die Wettkampfausrüstung aus.

Jedes Jahr im Frühjahr tritt die Fis in Zürich zusammen und bespricht technische Innovationen, die es zu reglementieren gilt. „Die einzelnen Verbände müssen sich dann mit den neuen Regeln auseinandersetzen und ihr Material anpassen“, sagt Hüttel. Die neue Fassung der Richtlinien veröffentlichte der Dachverband im Juni 2020. Darin werden sehr genaue Vorgaben zu Skiern, Schuhen, Helm und auch dem Anzug gemacht.

Eigens angestellte Näher*innen stellen die Anzüge her

„Der Skianzug wird nicht wie ein Kleidungsstück betrachtet, sondern eher wie ein Wettkampfgerät“, sagt der sportliche Leiter Skisprung, Hüttel. Zwischen einem guten und einem schlechten Anzug können auf der Großschanze bis zu zehn Meter liegen. So ist es nicht verwunderlich, dass der Fis beim Anzug der Springer*innen kaum Freiheiten gewährt. Explizit unter Punkt vier, der zum Ausschluss der Springerin Seyfarth führte, widmet der Dachverband dem Skisprunganzug vier Seiten voll spezifischer Anforderungen.

So schreibt die Fis vor, dass der Anzug zwingend einen mittig angelegten Zippverschluss bestimmter Länge hat und aus fünf Schichten mit einer Dicke von insgesamt mindestens vier, aber maximal sechs Millimeter besteht. Auch die einzelnen Schichten sind hinsichtlich materieller Zusammensetzung präzise vorgeschrieben. Sogar die Luftdurchlässigkeit der Unterwäsche ist vorgeschrieben. „Die verändert die Flugeigenschaften“, sagt Hüttl, der seit 2013 auch Sportfunktionär bei der Fis ist und sich dort mit Wettkampfregeln auseinandersetzt. Auch ein Unteranzug könne Vorteile verschaffen. Große Wirkung beim Auftrieb erzeugen kleine Änderungen an der Passform. Gut zu beobachten war dies zu Zeiten von Sven Hannawald. Damals erlaubte die Fis, dass der Anzug bis zu sechs Zentimeter vom Körpermaß abweichen darf. Folglich trugen die flatternden Anzüge die Athlet*innen noch weiter durch die Lüfte. 2010 änderte der Dachverband dies, beschränkte die Differenz zwischen Köper- und Anzugmaß auf null Zentimeter. Zwischenzeitlich tolerierte die Fis Abweichungen von ein bis zwei Zentimetern bei den Männern, bei den Frauen zwei bis vier. In der neuesten Fassung schreibt die Fis wieder vor, dass der Anzug direkt am Körper anliegen muss.

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Die Fis vermisst die Athlet*innen regelmäßig und kontrolliert sie nach den Sprüngen, ob die Maße passen. „Problematisch wird es immer, wenn die Athleten an Gewicht verlieren“, sagt Hüttel. Dann könne der Unterschied zwischen Körper- und Anzugmaß zu groß werden. „Die Verantwortung tragen letztlich die Athleten selbst, auch wenn in jedem Trainerteam ein Trainer für Materialangelegenheiten abgestellt wird.“ Weitere Faktoren sind Temperatur und Feuchtigkeit, durch die der Anzug sich verziehen kann. Zur Disqualifikationen aber komme es immer seltener, sagt Horst Hüttel.

Beim DSV nähen eigens angestellte Näher*innen die Anzüge, optimiert werden die Schnitte anhand von Tests im Windkanal. „Letztlich geht es im Skispringen immer um Auftrieb“, sagt Hüttel. Aber am Ende ist es wie in jedem anderen Sport auch, der Anzug springt nicht von alleine, es sind die Athlet*innen.

Elias Fischer

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