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Rangefahren. Die Berlinerin Charlotte Becker (in rot) setzt sich seit langem für die Gleichberechtigung von Frauen bei Sechstagerennen ein – in Berlin ist es nun so weit. Foto: Camera 4

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Sport: Späte Revolution im Rund

Beim Sechstagerennen starten zum ersten Mal in der Geschichte auch Frauen.

Berlin - Der Empfang ist für alle Sportler gewohnt herzlich. Bei der Vorstellung einer Fahrerin steigt der Geräuschpegel an diesem Eröffnungsabend des 101. Berliner Sechstagerennens allerdings merklich an. Die Uhr zeigt kurz vor zehn, als die einzige Lokalmatadorin aus dem zwölf Teilnehmer starken weiblichen Starterfeld auf die Bahn rollt: Charlotte Becker lächelt freundlich, sie winkt kurz ins Publikum, dann richtet sie ihren Blick auf die Bahn. Konzentration. Dann erfolgt der Startschuss.

30 Runden später steht Charlotte Becker in den Katakomben des Velodroms, das knallrote Trikot klebt an ihrem Körper. „Dieses Rennen war für mich ein besonderes Erlebnis“, sagt die 28-Jährige. „Früher habe ich mir beim Sechstagerennen immer Autogramme von den Stars geholt.“ Heute zählt die Berlinerin selbst zu den Lieblingen des Publikums. Dabei profitiert Charlotte Becker von einer, nun ja, späten Revolution: Zum ersten Mal in der Geschichte der Veranstaltung starten in diesem Jahr auch Frauen auf dem Rundkurs an der Landsberger Allee.

„Wir mussten uns in den vergangenen Jahren häufig die Frage gefallen lassen, ob wir ein Haufen Machos sind, die keine Frauen starten lassen wollen“, sagt Uli Jansch. Das sei natürlich nicht der Fall, ergänzt der Sprecher des Sechstagerennens. Vielmehr haben die Berliner Veranstalter ihre Wettkämpfe dem olympischen Programm angepasst, das sich im Bahnradsport seit Peking 2008 erheblich geändert hat: Unter der Vorgabe größerer Gleichberechtigung starten Männer wie Frauen in London erstmals in denselben fünf Disziplinen. „Die Teilnehmer können das Sechstagerennen also als Vorbereitung auf die Olympischen Spiele nutzen. Das war unser Ziel“, sagt Uli Jansch.

Charlotte Becker hat diese Gelegenheit ergriffen, auch wenn sie noch nicht für die Spiele qualifiziert ist. Beim letzten Weltcup-Rennen der Saison in London (16. bis 19. Februar) müsste schon viel passieren, dass die Polizistin die Qualifikation verpasst. „Wenn ich nicht den letzten Platz belege, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen“, sagt Charlotte Becker, die die Berliner Traditionsveranstaltung als eine Mischung aus Mission und Übungseinheit betrachtet. „Für mich war es einerseits wichtig, wieder ein Gefühl für den Rundkurs zu bekommen. Seit November war ich nicht mehr auf der Bahn unterwegs.“ Andererseits setzt sich Becker seit Jahren für die Startchancen von Frauen bei Sechstagerennen ein. Umso glücklicher ist sie, dass es nun endlich in Berlin geklappt hat. „Ich sehe darin eine große Chance für unseren Sport. Wir Frauen haben die Möglichkeit, unser Können zu zeigen. Außerdem ist es ja nicht so, dass wir um eine Teilnahme gebettelt hätten.“ Die Idee, sich von den alten Strukturen zu lösen, kam von den Veranstaltern selbst – in Zusammenarbeit mit einigen Sponsoren, die sich neue Impulse gewünscht hatten.

„Bei großen internationalen Bahnrad-Wettkämpfen gehört die Präsenz von Frauen schließlich längst zur Normalität“, sagt Charlotte Becker, bevor sie sich zum Ausradeln zurückzieht. „Dahin müssen wir auch bei den Sechstagerennen kommen.“ Das Berliner Publikum jedenfalls reagierte auf die Rennen der Damen so, als gehörten sie seit Jahren dazu: herzlicher Empfang, anhaltender Applaus – und natürlich ganz besondere Unterstützung für die einzige Starterin aus Berlin.

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