zum Hauptinhalt

Sport: Spanien - Norwegen: Prügel für einen richtigen Macho - In der Champions League hui, bei der EM pfui

"Molina". In den siebziger Jahren hieß so ein Hit der Rockgruppe Creedence Clearwater Revival.

"Molina". In den siebziger Jahren hieß so ein Hit der Rockgruppe Creedence Clearwater Revival. Seit dem vergangenen Dienstag ist dieser Name für die spanischen Fußballfans - und das sind immerhin fast alle der 40 Millionen Einwohner - zum Synonym für den Flop der "Seleccion" im ersten Spiel bei der Europameisterschaft geworden. Jose Molina von Atletico Madrid war nach 65 Minuten scheinbar orientierunglos in seinem Strafraum herumgeirrt, als Steffen Iversen einen weiten Abschlag von Molinas Kollegen Thomas Myhre mit dem Hinterkopf zum 1:0-Siegtreffer der Norweger verlängerte.

Während nach Spielende die mehr als 10 000 norwegischen Fans in Rotterdam noch sangen, dass die Wikingerhelme wackelten, suchte Spaniens Trainer Jose Antonio Camacho nach Erklärungen für den Fehlstart seiner Mannschaft, die von vielen neben den Holländern als Favorit auf den EM-Titel gehandelt worden war. Dürftig fiel seine Ursachenforschung aus. Man sei "vom Glück verlassen" gewesen. Und dann dieser Schiedsrichter. Schlecht, ganz schlecht habe der Ägypter Gamal el Ghandour gepfiffen, der als Gast-Referee bei der Europameisterschaft dabei ist. Die Norweger seien bevorzugt worden, seiner Mannschaft habe Ghandour einen klaren Elfmeter verweigert. Diesen Eindruck hatte Camacho allerdings exklusiv.

Camacho wollte dabei möglicherweise nur ablenken von der enttäuschenden Vorstellung seiner Mannschaft. Das ging beim desorientierten Molina los und endete beim hoch gelobten Raul, der müde wirkte und sich gegen die diszipliniert spielenden Norweger kaum durchsetzen konnte. Doch wenn man sah, mit welcher Entschlossenheit im Blick die Journalisten der diversen täglich erscheinenden Sportzeitungen in Spanien die Berichte in ihre Laptops tippten, wurde schnell klar, dass die Ausflüchte des Trainers in der Öffentlichkeit nicht akzeptiert werden.

Die Kritik prasselt nun auf Jose Antonio Camacho nieder, der bis vor kurzem noch als Heilsbringer des spanischen Fußballs gefeiert wurde. Er hatte im September 1998 Javier Clemente als Trainer abgelöst, der eine der schwärzesten Stunden des spanischen Fußballs zu verantworten hatte. Das erste EM-Qualifikationsspiel ging am 5. September mit 2:3 gegen Zypern verloren. Doch dann kam Camacho. Die Spanier gewannen die folgenden sieben EM-Qualifikationsspiele allesamt und erzielten dabei 40 Tore. Die begeisterten Fans kreierten den Ruf "Camacho, du bist ein richtiger Macho". Als Spieler sechzehn Jahre bei Real Madrid tätig, war Camacho ein Verteidiger, für den das Prädikat "Eisenfuß" absolut zutraf. "Das war mein unangenehmster Gegenspieler", sagt der Holländer Johan Cruyff über den inzwischen 45-Jährigen, der 81 Länderspiele für sein Land bestritt.

Die Erwartungen waren nach den guten Leistungen während Camachos bisheriger Amtszeit entsprechend hoch. Zudem gilt die spanische Liga, nicht nur wegen der vielen ausländischen Stars, als die momentan stärkste. Keine andere führende Fußball-Nation Europas hat eine derart produktive Nachwuchs-Förderung, kein anderes Land kann in den letzten Jahren solche Erfolge in den Junioren-Wettbewerben aufweisen wie die Iberer. Drei (Real, Barcelona, Valencia) der vier besten Klubs in der Champions League kamen in diesem Jahr aus Spanien. Als der spanische Verband eine Risikoversicherung abschließen wollte, um bei einem Titelgewinn nicht so hohe Prämien zahlen zu müssen, fand sich kein Versicherungsunternehmen. Der EM-Sieg schien allen einfach zu wahrscheinlich.

Aber jetzt stehen die Spanier erst einmal dumm da, und Jose Antonio Camacho, der als impulsiv und trotzköpfig gilt, wird wegen seiner Personalpolitik so hart attackiert, wie er selbst einst die Schienbeine seiner Gegenspieler bearbeitete. Den 29-jährigen Madrider Molina hat er dem von allen geliebten Santiago Canizares (21) als Nummer eins vorgezogen. Zwei sehr gute Stürmer, Fernando Morientes und Liga-Torschützenkönig Salvador Ballesta, nahm er erst gar nicht mit zur Europameisterschaft. Eine Entscheidung, die kaum jemand nachvollziehen konnte. Der Trainer setzt allein auf Ismael Urzaiz, der sein Versprechen, das Vertrauen des Trainers "mit Toren zurückzuzahlen", bisher nicht einlöste. Was nun, Senor Camacho? Der knurrte nur: "Wir werden weiter arbeiten und die nächsten beiden Spiele gewinnen."

Sebastian Arlt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false