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Sport: Sprint über 1250 Kilometer

Extremradfahrer Stefan Lau fährt in 48 Stunden die Distanz von sieben Tour-Etappen – ohne Schlaf und ohne Pause

Wiesbaden. Als vor drei Wochen die Tour de France zu Ende ging, wurde selbst der Letzte der 147 Radprofis für seine Leistung bewundert. Stefan Lau kann darüber nur milde lächeln. Der Extremradfahrer aus Wiesbaden fährt Distanzen wie die 3427 Kilometer der diesjährigen Tour de France in weniger als einem Drittel der Zeit, die Jan Ullrich oder Lance Armstrong dafür auf der Tour benötigen würden.

Während die beiden großen Radstars in zwei durchschnittlichen Tour-Tagen rund 350 Kilometer bewältigen, will der 37 Jahre alte Radamateur in dieser Woche zwischen Montag- und Mittwochabend in weniger als 48 Stunden 1250 Kilometer beim Radrennen Paris – Brest – Paris herunterstrampeln. Das entspricht ungefähr der Distanz von sieben Tour-Etappen.

Seinen recht beachtlichen Distanzvorsprung arbeitet sich Lau in den Stunden heraus, in denen Ullrich zwischen zwei Etappen Interviews gibt, Massagen genießt oder schläft. Lau wird stattdessen ohne Schlaf und Pause auf der Fahrt aus der französischen Hauptstadt zum Atlantik und zurück auskommen.

Obwohl der Angestellte einer Frankfurter Bank zu den besten Extremradfahrern der Welt zählt, wird er trotz seines wahrhaft unermüdlichen Einsatzes das bedeutendste europäische Extremradrennen wohl nicht gewinnen können. „Paris - Brest - Paris ist mit seinen nur 1250 Kilometern eine Sache für die Sprinter unter den Extremradfahrern. Ich kämpfe da nur um einen Platz unter den Top 30“, sagt Lau.

Ihm liegen eher Rennen wie das „Race across America“. Bei dem wohl härtesten sportlichen Wettbewerb überhaupt belegte Lau im vergangenen Jahr den vierten Platz. Für die Strecke von Portland an der nördlichen Pazifikküste der Vereinigten Staaten bis an die Ostküste in die Stadt Pensacola in Florida benötigte der Hobby-Athlet zehn Tage, vier Stunden und 14 Minuten.

Kein anderer Deutscher fuhr die 5000 Kilometer lange Strecke je schneller oder war bei den bisher 21 Auflagen des wichtigsten Wettbewerbs der Extremradfahrer besser platziert. Deshalb gilt Lau derzeit als bester Deutscher seiner Disziplin.

Angefangen hatte der Marathon-Mann einst als ganz normaler Radrennfahrer. Als C-Klasse-Amateur legte er bei Wettbewerben Strecken zwischen 100 und 200 Kilometern zurück. „Diese Rennen waren nichts für mich. Die Rundkurse langweilten mich, und ein draufgängerischer Siegfahrer im Massenspurt war ich auch nicht“, sagt Lau. 1993 fuhr er aus Spaß erstmals von seinem Studienort Trier aus die 400 Kilometer in seine Heimatstadt Wangen im Allgäu am Stück. Später besuchte er von Frankfurt aus seine Freundin in Bremen und bemerkte langsam seine besondere Begabung für extrem lange Strecken.

Wie ein Marathon

Die Leistung von Jan Ullrich oder anderen Tour-Fahrern stellt Lau trotz seiner in Kilometern gemessen deutlich größeren Qual auf dem Rennrad aber nicht in Frage. „Was die bei der Tour leisten, das könnte ich nicht einmal im Ansatz schaffen. Die betreiben eine ganz andere Sportart, auch wenn ihr Sportgerät dasselbe ist“, sagt Lau. „Ich vergleiche das ganz gerne mit der Leichtathletik: Die Tour de France sind zwanzig 100-Meter-Läufe in drei Wochen, Rennen wie das Race across America oder Paris – Brest – Paris entsprechen einem Marathon.“ Einem Marathon, bei dem Schnelligkeit nur wenig zählt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Schnellsten liegt unter 25 Kilometern pro Stunde, wird allerdings üblicherweise in 500 Kilometern pro Tag angegeben. Statt auf Geschwindigkeit kommt es bei den Extremradfahrern auf das Zusammenspiel ganz anderer Faktoren an. „Das Rennen wird fast ausschließlich im Kopf entschieden“, sagt Stefan Lau.

Vor allem zwei Faktoren erschweren das Radeln: Zum einen der Schlafentzug. Beim Race across America schlief Lau durchschnittlich anderthalb Stunden pro Nacht. „Nach spätestens sieben oder acht Renntagen stellen sich deshalb Halluzinationen ein. Da glaubt man, Schlangen auf der Straße zu sehen oder biegt in eine nicht vorhandene Kurve ab“, sagt Lau.

Außerdem konnte sich Lau nur auf wenigen der 5000 Kilometer an einem Konkurrenten orientieren. Windschattenfahren ist verboten, schon nach einem Bruchteil der Strecke ist das Fahrerfeld deshalb auseinander gerissen. So musste sich Lau beispielsweise ganz alleine, angefeuert nur von seinen Helfern im Begleitfahrzeug, bis zu fünf Stunden lang mitten in der Nacht durch einen lang gezogenen Anstieg der Rocky Mountains oder tausende Kilometer weiter östlich durch die über vierzig Grad heiße Wüste Oklahomas quälen. „Dieses Alleinradeln ist psychisch extrem schwer zu verkraften.“

Bei Paris – Brest – Paris ist die Aufgabe leichter als in Amerika: Immer wieder bilden sich Pulks von Fahrern. Zudem ist das älteste Radrennen der Welt, das 1891 und somit zwölf Jahre vor der Tour de France das erste Mal gefahren wurde, im ländlichen Teil des radsportverrückten Frankreich ein absoluter Publikumsmagnet. In manchen Dörfern sitzen die Einwohner die ganze Nacht hindurch vor ihrer Haustür, jubeln den Fahrern zu und bieten ihnen Kaffee und eine Mahlzeit an.

Während viele der rund 3500 weniger ambitionierten Teilnehmer von den Angeboten Gebrauch machen werden, wird Stefan Lau dankend ablehnen. Schließlich träumt er zumindest heimlich doch von einem Spitzenplatz. Um die Sprinter zu besiegen, müsste er dann wohl kurz vor dem Zielstrich einen Ausreißversuch unternehmen. Was Extremsportler eben so unter kurz verstehen. Lau sagt: „Ein guter Zeitpunkt wäre 100 Kilometer vor Paris.“

Daniel Meuren

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