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Sport: Spritzen vom Masseur

Die späte Aufarbeitung des westdeutschen Dopings

Der Präsident soll etwas zum Anabolikakonsum in seinem Sportverband sagen. „Das ist für mich kein Doping“, erklärt er, „da müssten wir das tägliche Frühstück verbieten.“ Eine kleine Geschichte aus der deutschen Dopingvergangenheit. Sie fand 1968 statt, aber nicht in der DDR. Es geht um den Präsidenten eines westdeutschen Sportverbands.

Das Doping im Westen wurde erst ignoriert, dann klein geredet. Jetzt wird es erstmals richtig aufgearbeitet. Wie groß das Ausmaß des Betrugs war, hatte bisher vor allem die ehemalige Leichtathletin Brigitte Berendonk in Eigeninitiative erforscht, später der Heidelberger Pädagoge Gerhard Treutlein zusammen mit Andreas Singler. Derzeit nehmen Wissenschaftler der Universität Münster und der Berliner Humboldt-Universität einen tieferen Einblick, finanziert vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft. Etwas Ironie steckt schon darin, dass die Wissenschaftler ihre Zwischenergebnisse am Montag in Leipzig vorgestellt haben, einem Zentrum des DDR-Spitzensports.

Sie müssen weit ausholen. „Doping in der Bundesrepublik beginnt nicht in den Siebzigerjahren mit der anabolen Phase. Es beginnt 1949“, sagt der Sporthistoriker Erik Eggers, der als Journalist auch für den Tagesspiegel schreibt. Die Ursache sind Kontinuitäten. Was im Nationalsozialismus für militärische Zwecke angewendet worden war, wurde danach im Sport genutzt. Das betrifft etwa das Aufputschmittel Pervitin, im Krieg noch eingesetzt bei Zwangsarbeitern und Soldaten.

Sportmediziner waren Initiatoren des Betrugs, aber die Mehrheit stand dem Doping feindlich gegenüber. Überhaupt kam der Widerstand gegen medizinische Manipulation am ehesten aus der Wissenschaft und Sportmedizin, nicht aus dem Sport.

Zur frühen Dopinggeschichte der Bundesrepublik gehört der Verdacht gegen die Fußball-Weltmeister von 1954. „Die Indizien sprechen dafür, dass in ihren Spritzen kein Vitamin C war“, sagt Eggers. Es könnte Pervitin gewesen sein. Auf jeden Fall unzulässig war, dass der Masseur Spielern Spritzen verabreichte, das hätten nur Ärzte gedurft. Doping von Minderjährigen haben die Forscher in ihren Gesprächen ebenfalls ermittelt, auch das war also kein exklusives Verbrechen in der DDR.

Wie viel tatsächlich gedopt wurde im Westen, dürfte kaum festzustellen sein. Dazu müssten die wenigen Wissenschaftler nachträglich so viel dokumentieren, wie es die Staatssicherheit in der DDR getan hat. Ihren Anspruch haben die Wissenschaftler ganz unterschiedlich formuliert. „Wir werden nur Mosaiksteine liefern“, sagt Michael Krüger von der Universität Münster. Sein Berliner Kollege Giselher Spitzer erklärte dagegen: „Wir haben Zugangsrechte zu Archiven. Wir werden ein dichteres Wissen haben hinterher.“

Gerhard Treutlein findet die Ergebnisse seiner Forscherkollegen durchaus interessant, bezweifelt aber, dass noch ein großer Wurf kommt. „Im Sport gibt es keine Archivordnung. Vieles ist schon weggeworfen worden.“ Ein Hauptkritikpunkt am Projekt ist jedenfalls, dass es viel zu spät kommt. Bedeutende Zeitzeugen sind inzwischen verstorben, etwa der langjährige Olympiaarzt und Freiburger Sportmediziner Joseph Keul, der die Vergabe von Anabolika befürwortete. Treutlein bemängelt, dass die Forscher in ihren Berichten nicht weitere Namen von Dopern nennen: „Es sind Figuren der Zeitgeschichte.“

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