zum Hauptinhalt

Sport: Spurwechsel

In der Formel 1 soll es mehr Überholmanöver geben

Eigentlich war Jean Todt bislang nicht dafür bekannt, besonders religiös zu sein. Inzwischen aber ist er wohl soweit, dass er sich mit heidnischen Mitteln allein nicht mehr behelfen kann. „Ich bete, dass es wieder mehr Überholmanöver geben wird“, sagt Todt. Der Technische Direktor von Ferrari weiß, dass der Mangel an Spannung in Formel-1-Rennen langfristig nicht nur seinen Job, sondern seine Branche bedroht. Die Zuschauerzahlen sind rückläufig, die Show war nicht gut zuletzt.

Einiges spricht dafür, dass Todts Wunsch bereits zum Beginn der neuen Saison am kommenden Sonntag in Melbourne erfüllt wird. Der Motorsport-Weltverband Fia hat die umfangreichste Regeländerung seit zehn Jahren durchgesetzt – offiziell, um die Geschwindigkeiten zu reduzieren. Dass die Show dabei aufgepeppt wird, ist mehr als nur ein Nebeneffekt. Hauptpunkt der Fia war die Aerodynamik der Wagen. Ihr hoher Stellenwert hat zu einem eklatanten Mangel an Überholmanövern geführt. „Man konnte einem anderen Wagen nicht folgen. Sobald man hinter einem anderen Wagen fuhr, verlor man in den Kurven Abtrieb und dadurch Geschwindigkeit“, sagt Todt. Durch eine Regeländerung verlieren die Autos nun etwa 30 Prozent ihres aerodynamischen Abtriebs.

Durch die Reduktion der Aerodynamik steigt gleichzeitig die Bedeutung des einzigen anderen Faktors, der die Autos in Kurven auf der Straße hält: der Reifenhaftung. Auf diese Weise soll das Auto viel schwieriger zu kontrollieren sein. Die Rechnung der Fia ist einfach: Das Fehlerpotenzial steigt – und Fehler erleichtern Überholmanöver. Takuma Sato, Pilot bei BAR-Honda, bestätigt dies: „Das Auto driftet nun eher durch die Kurven. Manchmal bricht es regelrecht aus.“ Auch Weltmeister Michael Schumacher rechnet damit, dass „man als Fahrer künftig viel mehr gefordert sein wird“. Dagegen sagt BMW-Williams-Fahrer Nick Heidfeld, „dass sich die neuen Autos viel ähnlicher zu den alten verhalten, als ich erwartet hatte“. Nach Testfahrten konstatierte er: „Man verliert immer noch Abtrieb.“

Die unterschiedlichen Bewertungen der neuen Fahreigenschaften könnten durchaus an den verschiedenen Fahrstilen liegen. Aggressive Fahrer wie Sato oder auch Juan Pablo Montoya (McLaren) werden es ab dieser Saison schwer haben, weil die Reifen von nun an während Qualifikation und Rennen nur noch gewechselt werden dürfen, wenn sie beschädigt worden sind. Ein Vorteil für Material schonende Piloten wie Heidfeld oder Schumacher. „Das Wichtigste wird von nun an sein, diesen einen Satz Reifen so schonend zu nutzen, dass man sicher damit über die Dauer des Rennens kommt“, erklärt der Weltmeister. Die meisten Beteiligten sind sich darin einig, dass nicht mehr wie bisher der Start, sondern die Schlussphase eines Rennens entscheidend sein wird. Der letztjährige WM-Dritte Jenson Button glaubt, dass „man in den letzten zehn Runden noch sehr viele Plätze verlieren kann, wenn man seine Reifen ruiniert hat“.

Durch die verbotenen Reifenwechsel müssen die Teams neue Strategien entwickeln. Boxenstopps wird es nämlich weiterhin geben, denn das Auftanken bleibt erlaubt. „Vielleicht baut jemand einen riesigen Tank und versucht, mit nur einem Stopp durchzufahren“, sagt BAR-Testpilot Enrique Bernoldi, und auch Nick Heidfeld erwartet „ein paar Boxenstopps weniger“. Jenson Button rechnet sogar damit, dass sich der Charakter der Rennen grundlegend ändern wird: „Bisher waren es durch die Reifenwechsel eigentlich drei oder vier Sprintrennen, jetzt kann man nicht die ganze Zeit am Limit fahren.“ Zudem müssen die Motoren nun zwei Rennen halten.

Hier zeigt sich allerdings auch die Schwachstelle des neuen Regelwerks. Denn wer ein Rennen aufgrund eines technischen Defekts nicht beendet, darf im nächsten einen neuen Motor einbauen. „Das könnte jemanden, der nur auf Platz zehn herumfährt, dazu verleiten, einen Defekt vorzutäuschen“, sagt BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen. Gescheitert sind die Verantwortlichen der Fia auch ausgerechnet mit ihrem Ansinnen, die Autos langsamer zu machen. Die Rundenzeiten sind schon wieder auf Vorjahresniveau. Das alles wird zumindest Jean Todt nur am Rande interessieren – wenn seine Gebete erhört werden.

Christian Hönicke[München]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false