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Fußaufwärts. Stabhochspringer Björn Otto zu Beginn des Jahres in Dortmund.Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Stabhochspringer Björn Otto: Am Himmel kratzen

Stabhochspringer Björn Otto gilt bei der Team-EM in Gateshead als deutscher Leistungsgarant.

Berlin - Der Vergleich mit dem Fliegen ereilt ihn häufiger, natürlich. Stimmiger wird er dadurch aber nicht. Denn alles in allem ist ein Stabhochspringer vom Absprung bis zur Landung gerade 1,7 bis 1,8 Sekunden in der Luft unterwegs, referiert Björn Otto aus dem Stegreif. Schließlich probiert er sich selbst ja seit über 20 Jahren in dieser waghalsigen Disziplin, die inzwischen wieder zu einer deutschen Domäne geworden ist. Und weil er sich als Student der Biologie in Köln ohnehin gerne mit biomechanischen Analysen auseinander setzt.

Den „Überflieger“, den die Schlagzeilenlyriker so gerne bemühen, kann er mit fast 36 Jahren ohnehin nicht mehr abgeben. Dafür hat er eindeutig einen viel zu langen Anlauf benötigt. Es mag an diesem Wochenende vielleicht kaum jemanden wundern, wenn Otto die deutschen Farben bei der Team-Europameisterschaft der Leichtathleten im englischen Gateshead vertritt. Doch diese Position der gefühlten Nummer eins im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) hat sich der 1,91 Meter große Modellathlet erst in letzter Zeit erarbeitet.

Otto war ein hoffnungsvoller Youngster, als ein anderer aus der Region Köln, Tim Lobinger, 1997 als erster Deutscher die sechs Meter im Freien übersprang. Dennoch dauerte es 15 Jahre, bis Björn Otto diese Bestmarke Ende der vergangenen Saison um einen Zentimeter übertreffen konnte. Dazwischen war er immer oben mit dabei, aber selten erste oder zweite Wahl. Hinzu kamen bald auch erhebliche gesundheitliche Probleme.

„Lass es besser sein“, rieten sogar Freunde, als der Rücken und beide Achillessehnen Terror machten. Aber dann wurde Otto dieses letzte, nahezu perfekte Jahr geschenkt: Silber bei der Hallen-WM, Silber bei der Freiluft-WM und Silber bei den Olympischen Spielen in London. Es war eine späte Genugtuung für ihn und Trainer Michael Kühnke, die weiter tapfer an sein immenses Potenzial geglaubt hatten. Darum fühlt sich in dieser Saison vieles leichter an. „Ich muss niemandem mehr etwas beweisen“, sagt Björn Otto: „Alles, was jetzt noch folgt, ist reine Zugabe.“

Die Schwerelosigkeit hat ihm, pardon, offenbar Flügel verliehen. Von seinen zehn Wettkämpfen in der bisherigen Freiluftsaison hat Otto sieben gewonnen. Zweimal konnte er mit Renaud Lavillenie sogar den französischen Olympiasieger hinter sich lassen, der ihn bisher, wenn es darauf ankam, meist bezwungen hatte. Zurzeit kann man den Athleten des ASV Köln offenbar nachts um drei Uhr wecken – für 5,80 Meter reicht es dann allemal.

So viel Konstanz, trotz mancher Beschwerden am Fuß, hat auch dem DLV imponiert. Man habe Otto für Gateshead ausgewählt, begründete Leistungsdirektor Thomas Kurschilgen, weil der sich bisher zuverlässiger präsentiert habe als etwa Raphael Holzdeppe, der mit 5,91 Metern dieses Jahr schon mal einen Zentimeter höher gesprungen war. Für den Dachverband geht es an diesem Wochenende ja um Garanten für Punkte und einen Endplatz unter den ersten Drei – sowie insgesamt um „einen weiteren Schritt zur Neuformierung der Nationalmannschaft“, sagt Kurschilgen.

Lavillenie vor Otto, Otto vor Lavillenie – die Fans der Leichtathletik lieben solche Rivalitäten. Man habe jüngst zu häufig die französische Hymne gehört, hatte der Kölner im Frühjahr noch scherzhaft gestichelt. Im Grunde ist der deutsche Hoffnungsträger aber auch deshalb so gut, weil sein Sport längst nicht das Einzige für ihn ist. Spaziergänger in der Eifel können ihn manchmal als Gleitschirmflieger am Himmel kratzen sehen. Und in Mülheim/Ruhr hat er eine Berufsausbildung zum Verkehrspiloten angefangen. Da geht es mit der Cessna mal hoch hinaus auf bis zu 1200 Meter. Der Mann will schließlich ganz oben bleiben, auch wenn es mit dem Sport einmal vorbei ist, und lieber jetzt schon was riskieren: „Sonst wär’s ja auch langweilig“, sagt Björn Otto.Bertram Job

Bertram Job

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