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Sport: Stolz bröckelt nicht

Das Stadion alt, einige Fans brutal, viele Spieler dritte Wahl – Dynamo macht Dresden trotzdem Hoffnung

Ingolf Roßberg bekommt in diesen Tagen viel Post aus München. Um die 5000 Ansichtskarten haben die Fans von Dynamo Dresden ihrem Oberbürgermeister geschickt. Auf der einen Seite ist ein Foto der Allianz-Arena abgebildet, auf der anderen findet sich der Hinweis darauf, so ein schönes Stadion möge in absehbarer Zeit doch auch in Dresden gebaut werden. Oberbürgermeister Roßberg ist bekennender Dynamo-Fan – und die Diskussion über einen Stadion-Neubau älter als seine seit 2001 währende Amtszeit.

Im Rudolf-Harbig-Stadion ist nicht viel passiert seit der Wende, und das passt nicht so recht zu Dynamos neuen Erfolgen. Nach dem 2:1-Sieg am vergangenen Freitag in München sind die Dresdner Dritter der Zweiten Fußball-Bundesliga, heute empfangen sie den Tabellenführer Eintracht Braunschweig zum Spitzenspiel. Das Harbig-Stadion wird mit 23450 Zuschauern ausverkauft sein, Dynamo nimmt 250000 Euro ein. Das ist gut ein Viertel von dem, was 1860 in der Allianz-Arena verdient. „Schauen Sie sich doch mal um hier in dieser Bruchbude“, sagt Frau Gabler, der gute Geist der Geschäftsstelle. Der bröckelnde Putz wird kaschiert von schwarz-gelber Farbe, sogar die Mülltonnen sind in den Vereinsfarben gehalten. Auf dem Tresen vor Frau Gablers Schreibtisch steht ein riesiges Sparschwein.

Um die 40 Millionen Euro soll das neue Stadion kosten, Dynamo hat das Harbig-Stadion als Standort durchgesetzt, im nächsten Sommer soll mit dem Bau begonnen werden. Zeit zum Träumen. „Irgendwann werden wir auch mal fünfstellige Grundgehälter zahlen“, sagt Dynamos Manager Siegmar Menz. In der vergangenen Saison, als die Mannschaft ganz unten stand, hat Menz die Verträge umgestellt. Weniger Grundgehalt, mehr Prämien. Seitdem gewinnt Dynamo ein Spiel nach dem anderen, und das mit Profis, die woanders niemand mehr wollte. Zum Beispiel Marco Vorbeck, der bei Hansa Rostock schon als ewiges Talent abgestempelt worden war. Jetzt hat er in vier Spielen für Dynamo vier Tore geschossen, zuletzt beide zum 2:1 in München. Dennis Cagara war bei Hertha BSC auf der linken Seite dritte Wahl, in Dresden ist er Stammspieler. Ansgar Brinkmann ließ sich einst als „weißer Brasilianer“ der Bundesliga feiern und war kurz darauf nicht mehr gut genug für den Zweitligisten Ahlen. Jetzt ist er 36 Jahre alt und Chef im Dresdner Mittelfeld.

Im Sommer hat Dynamo seinen besten Stürmer verloren. Klemen Lavric zog nach 17 Toren für 750000 Euro weiter zum MSV Duisburg. Das Geld liegt weitgehend unangetastet auf der Bank, vielleicht darf Trainer Christoph Franke sich zur Winterpause ein paar Verstärkungen kaufen. Franke ist ein freundlicher Mensch, er wollte mal Förster werden und hat Dynamo Dresden aus der vierten in die zweite Liga geführt. Franke lacht leise, wenn er jetzt in den Zeitungen davon liest, Dynamo stehe vor dem Aufstieg. In denselben Zeitungen war er vor einem halben Jahr so gut wie entlassen, als die Dresdner auf dem letzten Platz der zweiten Liga standen. „Schauen Sie sich doch unseren Kader an“, sagt Franke, „drei, vier Leute sind einfach nicht zweitligareif. Egal, jetzt stehen wir oben und genießen das einfach mal.“

Genießen, so lange es noch geht, denn es sind nicht nur gute Nachrichten, die in diesen Tagen aus Dresden kommen. Auf der Rückreise vom Spiel in München tobten sich die Fans auf dem Gelände einer bayerischen Autobahn-Gaststätte aus. In den Münchner Zeitungen war von 3000 Hooligans die Rede, von reichlich Alkohol und Raketen, die auf die Zapfsäulen abgefeuert wurden. „Stoppt die Hooligans!“, forderte das Boulevardblatt „TZ“, und Bayerns Innenminister Beckstein musste im Landtag versprechen, so etwas werde nie wieder passieren.

„Da ist viel übertrieben worden“, sagt Torsten Rudolph. „Der Wirt der Gaststätte sagt, dass in dieser Nacht nicht mehr passiert ist als nach jedem Spiel in München. Aber wenn Dynamo beteiligt ist, springen alle besonders drauf an.“ Rudolph ist einer von drei hauptamtlichen Sozialpädagogen des von Dynamo eingerichteten Fanprojekts. Vor allem Zwölf- bis Sechzehnjährige zählen zu seiner Klientel. Rudolph nennt sie „erlebnisorientierte Jugendliche, die gehen zum Fußball und wollen auch die Party danach“. Die kann im Extremfall schon mal so ausfallen wie im Februar in Karlsruhe, als im Sekundenrhythmus Leuchtraketen und Knallkörper aus dem Dresdner Fanblock auf den Platz flogen, das Spiel stand vor dem Abbruch. Spätestens seit Karlsruhe stuft die Polizei Dynamos Auftritte als „High-Risk-Spiele“ ein. „Die Dortmunder Fans sind stolz auf die Südtribüne, die Münchner auf die großen Erfolge ihrer Mannschaft“, sagt Torsten Rudolph. „Eine Minderheit der Dynamo-Fans will wohl, dass man sie für die brutalsten in Deutschland hält.“

Wohin die Dresdner auch kommen, der schlechte Ruf ihrer Anhängerschaft eilt ihnen voraus. „Hirnverbrannte Schepperköppe“ knurrt Trainer Franke. „Solche Leute sorgen dafür, dass die Fans im Westen singen: Baut die Mauer auf.“ Spielt das in der Kabine eine Rolle? „Nein“, sagt Franke, „wir spielen unser Spiel“, das nächste Mal heute Abend gegen Eintracht Braunschweig, im baufälligen Harbig-Stadion. Es geht um die Tabellenführung. Noch ist nicht sicher, ob Ingolf Roßberg kommt. Der Oberbürgermeister plagt sich mit Migräne.

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