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Sport: Streit mit Sicherheit

Die WM-Organisatoren fordern von der Stiftung Warentest, ihre Stadionstudie zurückzunehmen

Wolfgang Niersbach steht auf den Zehenspitzen in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes. Er reckt seine Hände in die Höhe und sagt: „Jetzt müsste ich Schwergewichtstänzer, Hochseilartist und Kunstturner in einem sein, und eine Leiter brauchte ich auch noch.“ Nur unter diesen Bedingungen kann sich der Vizepräsident des Organisationskomitees der Fußball-WM 2006 vorstellen, einen Fernseher, der in einer Stadionloge drei Meter über dem Boden aufgehängt sei, herauszureißen und als Wurfgeschoss zu benutzen. „Doch genau dieses Szenario hat die Stiftung Warentest für die WM-Arenen entworfen. Das ist aberwitzig.“ Niersbach stellt sich wieder auf seine Füße. Beruhigen tut ihn das nicht.

Die WM-Organisatoren sind weiterhin aufgebracht über die Stiftung Warentest, die vier WM-Stadien für den Fall einer Panik erhebliche Sicherheitsmängel attestiert hat – darunter ist auch das Berliner Olympiastadion, in dem am 9. Juli das WM-Finale stattfinden soll. „Die Stiftung muss ihr Urteil revidieren“, forderte Horst R. Schmidt, ebenfalls Vizepräsident des Organisationskomitees, auf einer extra für diese Mitteilung einberufenen Pressekonferenz. Die deutschen WM-Stadien seien nicht nur sicher, „sondern weltweit beispielhaft“. Die WM-Planer zweifeln die Herangehensweise des unabhängigen Testinstituts an, das in den Arenen in Berlin, Leipzig und Gelsenkirchen fehlende Fluchtwege auf das Spielfeld und in Kaiserslautern den mangelhaften Brandschutz kritisiert hatte. „Wir sind keine beleidigten Leberwürste“, sagte Niersbach. „Aber konstruktive Kritik können wir nicht erkennen.“

Die Stiftung Warentest in Berlin ließ sich von den Vorwürfen aus Frankfurt nicht beeindrucken. „Selbstverständlich nehmen wir die Studie nicht zurück“, sagte Holger Brackemann, Abteilungsleiter der Stiftung, dem Tagesspiegel. „Im Falle einer Panik handeln Menschen nach ihren Instinkten und rennen automatisch nach vorne weg.“ Deshalb müsse der Rasen in jedem Stadien ohne große Hürden erreichbar sein. Das Organisationskomitee bemühte sich dagegen, vorhandene Fluchtmöglichkeiten hervorzuheben. „Vor allem in Berlin wäre das Spielfeld eine Sackgasse, da es von dort kaum Möglichkeiten gibt, wegzukommen“, assistierte Margot Ehrlicher vom Berliner Brandinstitut HHP. Ihr Büro war an der Bauplanung mehrerer WM-Stadien beteiligt.

Die Fronten im Stadionstreit haben sich nach einer Woche sichtlich verhärtet. Beide Seiten schicken Panikexperten ins Feld, beide beschuldigen sich der Uneinsichtigkeit, beide reden nicht miteinander. Die Stadionbetreiber in Gelsenkirchen erwägen eine Klage gegen die Studie, das Organisationskomitee will sich damit immerhin zurückhalten. Heute Nachmittag treffen beide Parteien im Sportausschuss des Bundestages erstmals aufeinander. Dann könnte auch endlich über Verbesserungsvorschläge gesprochen werden. In Berlin wird über die Anschaffung weiterer mobiler Brücken nachgedacht, über die Fans im Notfall den Reportergraben zwischen Tribüne und Spielfeld überwinden könnten.

Auch den Fußball-Weltverband lässt die Debatte nicht unberührt. „Unser Vertrauen in die Organisatoren ist hoch“, sagte Jim Brown, WM-Organisationschef der Fifa. „Wir werden aber über neue Sicherheitschecks in den Stadien nachdenken.“ Die deutschen WM-Planer sind bislang nicht gewillt, alle Verbesserungsvorschläge umzusetzen. „Wir denken über einige Dinge nach, aber es geht nur um Marginalien“, sagte Schmidt. Ein drei Meter hoch hängender Fernseher in einer Stadionloge ist wohl nicht gemeint.

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