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Der Kaiser und ein Volk. Franz Beckenbauer im Trikot von Cosmos New York.

© dpa

Tagesspiegel-Wahl: Bester Innenverteidiger/Libero: Franz Beckenbauer: Der Undeutsche

Unsere Jury hat Franz Beckenbauer zum besten Libero der Bundesliga-Geschichte gewählt. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ist mit ihm befreundet und erklärt, warum Beckenbauer oft falsch eingeschätzt wird.

Die erste Begegnung endete unentschieden. Als ich Franz Beckenbauer zum ersten Mal live im Stadion sah, erreichte sein FC Bayern ein 0:0 bei meinem Verein Fortuna Düsseldorf. Oder ich müsste eher sagen, erreichte die Fortuna ein 0:0 gegen den FC Bayern, denn Düsseldorf war gerade in die Bundesliga aufgestiegen, machte sein erstes Heimspiel gegen die Bayern und Beckenbauer hatte kurz zuvor in England bei der Weltmeisterschaft phänomenal gespielt. Dass ich Franz Beckenbauer einmal persönlich kennenlernen würde und sich sogar eine Freundschaft entwickeln würde, daran habe ich damals als 15-Jähriger nicht im Traum gedacht.

Als Spieler war er für mich das Nonplusultra. Das kann ich heute wahrscheinlich besser erklären als damals. Warum bekommen wir im Moment weltweit soviel Anerkennung für den Fußball, den wir spielen? Weil wir nicht mehr als Kampfmaschinen wahrgenommen werden. Franz Beckenbauer aber hatte schon damals etwas Undeutsches. Es war dieses Lockere, Leichte, Verspielte in seiner Art auf dem Platz, das ihn so herausragen lässt. In seiner Zeit gab es nur ganz, ganz wenige, die das ausgestrahlt haben, vielleicht noch Helmut Haller. Franz ist genauso viel in einem Spiel gelaufen wie Berti Vogts, aber dem einen hat man es angesehen und dem anderen nicht. Man hatte auch immer das Gefühl, dass Franz gar nicht schwitzt.

Dieses Leichte und Lockere hat er in seinen späteren Positionen und Aufgaben immer beibehalten – verbunden mit einer enormen Zielstrebigkeit. Vielleicht wird er deshalb bis heute manchmal etwas falsch eingeschätzt. Weil viele ihm die Arbeit, die hinter seinen Erfolgen steckt, einfach nie angesehen haben. Es sind zwei Seiten seiner Persönlichkeit, das Lässige und das Konzentrierte. Das habe ich dann selbst erlebt, als ich 1988 Pressechef des Deutschen Fußball-Bundes wurde und bei den Turnieren dabei war.

Mit 132 Punkten gewann Franz Beckenbauer die Wahl unserer Expertenjury bei 132 möglichen Punkten äußerst souverän. Vor Matthias Sammer (108) und Uli Stielike (92).
Mit 132 Punkten gewann Franz Beckenbauer die Wahl unserer Expertenjury bei 132 möglichen Punkten äußerst souverän. Vor Matthias Sammer (108) und Uli Stielike (92).

© Tsp

Wo mein Platz bei solchen Reisen sein sollte, das war damals noch nicht festgelegt. Die Rolle des Pressesprechers entwickelte sich ja erst. Franz hat jedoch entschieden, dass ich beim Essen immer mit am Trainertisch sitzen sollte, und ich sollte auch immer mit in die Kabine.

Was hatten wir für einen Spaß bei der WM 1990 in Italien. Abends haben wir Karten gespielt, ich hatte noch zwei, drei Kästen Altbier aus Düsseldorf besorgt, weil Franz das so gut schmeckte. Um elf, halb zwölf ist dann jeder auf sein Zimmer gegangen, aber während alle geschlafen haben, hat Franz noch die Videos von den nächsten Gegnern angeschaut. Er hatte eine Suite oben in diesem Castello und da ging das Licht nie aus. Morgens war er zwar nicht der Erste beim Frühstück, aber immer bestens gelaunt.

In unserer Oline-Umfrage setzte sich Franz Beckenbauer (478 Stimmen) mit noch größerer Deutlichkeit durch. Klaus Fichtel (66) und Matthias Sammer (64) müssen dies anerkennen.
In unserer Oline-Umfrage setzte sich Franz Beckenbauer (478 Stimmen) mit noch größerer Deutlichkeit durch. Klaus Fichtel (66) und Matthias Sammer (64) müssen dies anerkennen.

© Tsp

1994 hatten wir vielleicht sogar die bessere Mannschaft mit Sammer, Effenberg und anderen, aber wir hatten nicht diese Italien-Stimmung. Für diese gute, lockere, aber auch zielstrebige Stimmung stand der Franz. Eine halbe Stunde vor Spielbeginn konnte man ihn nicht mehr ansprechen, da war er nur noch ernst und fokussiert. Seine akribische Art hat er nie nach außen getragen, vielleicht überrascht sie manchen auch deshalb. Aber lange bevor es eine computerbasierte Spielanalyse gab, hat sich Franz sportwissenschaftlicher Auswertungen bedient. Bei der WM in Italien hat er sie sich sogar über die Alpen bringen lassen. Er hat das ganze Umfeld professionalisiert, Physiotherapeuten geholt wie Klaus Eder, der bis heute dabei ist, oder Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt als Mannschaftsarzt. 1990 ist Müller-Wohlfahrt noch heimlich zur WM eingeflogen worden, weil die anderen Ärzte das nicht wissen durften. Im Haus von Lothar Matthäus hat er dann die Spieler behandelt. Aber in diesen Dingen war Franz sehr akribisch, weil er immer das Optimum herausholen wollte. Als Teamchef stand er dann immer gut angezogen und lässig am Spielfeldrand.

„Jo mei, was soll i sagen.“ Franz Beckenbauer ließ sich bei der WM 1990 von nichts stören

Er besitzt auch die Fähigkeit, mit seiner Art ein kritisches Thema einfach mal abzuräumen. Bei der WM 1990 hat der 1. FC Köln Christoph Daum entlassen, und das in unserem WM-Quartier. Eine Riesenaufregung. Bei der Pressekonferenz am nächsten Tag hieß es: Wie kann der FC nur den WM-Erfolg gefährden? Ich habe Franz nur noch zuraunen können: Es gibt nur ein Thema, nicht unser nächstes Spiel, sondern Köln. Die erste Frage kam auch gleich: „Herr Beckenbauer, was sagen Sie dazu?“ Und wie der Franz so ist: „Jo mei, was soll i sagen. Italien is a großes Land. Dass sie’s ausgerechnet hier machen müssen.“ Damit war eigentlich alles gesagt.

Intensiv kennen gelernt hatte ich ihn erstmals 1980 in New York, er spielte damals bei Cosmos. Drei Stunden haben wir im Hotelgarten gesessen und geredet, das Gespräch war von großer Offenheit und großem Vertrauen geprägt. Es gibt allerdings nicht den einen Punkt, an dem aus unserem Umgang eine Freundschaft wurde, das ergab sich eben so mit der Zeit. Es war ein Stück weit meine Idee, ihn erst zum Botschafter und später zum Chef unserer deutschen WM-Bewerbung für 2006 zu machen. Aus der Bewerbungsphase gibt es auch die Geschichte, dass er auf einer Südseeinsel erfuhr, dass die Bayern durch das Tor von Patrik Andersson beim HSV doch noch Deutscher Meister geworden waren. Gemeinsam mit Fedor Radman ist er dann nachts raus aus dem Hotelzimmer und über den Flur gelaufen und hat gesungen: „Steht auf, wenn Ihr Bayern seid.“ Aus irgendeiner Tür kam der verschlafene Sepp Blatter heraus.

Sich so freuen zu können wie ein Kind, auch das ist besonders an ihm.

Prägend für uns beide war unsere Reise durch alle 31 Teilnehmerländer vor unserer WM 2006. Staatsmänner wie Tony Blair in England oder Nestor Kirchner in Argentinien waren genauso in den Bann von Franz gezogen wie die Leute auf der Straße. In Mexiko haben sie sich bekreuzigt, als sie ihn an einer Tankstelle erkannt haben. Und Ghanas Staatspräsident hat ihn auf das WM-Spiel von 1970 gegen Italien angesprochen, als er sich an der Schulter verletzt hatte und mit Verband weiterspielen musste, weil nicht mehr gewechselt werden konnte.

Einmal haben wir in elf Tagen acht Länder besucht. In Rio waren es 40 Grad plus, in New York zehn Grad minus. Aber er hat alles mit einer ungeheuren Disziplin mitgemacht. Nach dem Einsteigen in unser Flugzeug hat er gesagt: „Na, trink ma a Glaserl?“ – „Franz, es ist morgens um 11, da kannst du doch nicht mit dem Wein anfangen.“ Seine Antwort: „In irgendeiner Zeitzone wird’s doch später sein.“

Seine lustige Art, seine Frotzelei, die können einem den ganzen Tag retten. Unsere Freundschaft braucht auch keine Aufwärmphase. Wir reden immer gleich persönlich drauflos, auch wenn wir uns mal drei Wochen nicht gesprochen haben. Allüren sind ihm völlig fremd. Ich habe in der Welt des Fußballs keinen erlebt, der so freundlich und großzügig ist zu Fahrern oder an der Hotelrezeption. Diese Freundlichkeit ist nicht aufgesetzt, sie kommt aus ihm heraus. Er schreibt ja auch immer noch seinen ganzen Namen als Autogramm, obwohl es nicht der Kürzeste ist.

Franz ist ein glücklicher Mensch. Er sagt immer wieder, dass ihm das Leben so viel beschert habe. Langes Jammern gibt es nicht. Als Teamchef ist er mal einen Tag vor einer Zusammenkunft mit dem Fahrrad gestürzt und hat sich das Schlüsselbein gebrochen. Uns hat er nichts davon gesagt, er hat sich nichts anmerken lassen.

Er ist auch ein Mann, der mit aller Konsequenz Verantwortung übernimmt. Das hat er auch in seinem Privatleben so gehalten, zu seinen Kindern hat er ein sehr gutes Verhältnis. Früher war er manchmal ein kleiner Choleriker. Das hat sich ausgewachsen, er ist noch gelassener geworden. Der Kinder wegen ist er nochmal umgezogen, von Kitzbühel nach Salzburg. Im Sommer hat er mich zu den Salzburger Festspielen eingeladen: „Das tut dir gut“, hat er mir gesagt, „nicht immer nur dieser Fußball.“

Aufgezeichnet von Friedhard Teuffel.

Wolfgang Niersbach

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