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Sport: Tarnname „dritte Person“

Im Fall Ullrich werden neue Details bekannt – und T-Mobile entlässt Pevenage

Die spannende Frage schwirrte durch den Pressesaal. Nicht die nach dem Sieger der achten Etappe der Tour de France. Die gewann der Franzose Sylvain Calzati nach 181 Kilometern von St.-Méen-le-Grand nach Lorient; in Gelb fährt weiter Sergej Gontschar vom Team T-Mobile. Nein, die Frage lautete: Was wird am Montag im „Spiegel“ stehen? Neue Enthüllungen über Jan Ullrich aus dem mehr als 500 Seiten dicken Ermittlungsbericht der Guardia Civil? Es war natürlich bekannt geworden, dass das Magazin in der „Operacion Puerto“ (Operation Bergpass) in Spanien unterwegs gewesen war.

Nahezu alle schwer wiegenden Indizien, die Ullrich belasten, sind in den Grundzügen schon seit einer Woche bekannt. Etwa der Name „Jan“ auf Listen, Blutbeuteln und Abrechnungen; der gewiss leicht zu dechiffrierende Code „HIJO RUDICIO“ (Rudis Sohn) an erster Stelle der aufgelisteten Decknamen. Die drei Originaldokumente dieser Aufstellungen des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes hatten Zeitungen bereits am 3. Juli abgedruckt.

Neu und brisant sind zusätzliche Details im „Spiegel“ und in der Montagausgabe der „Süddeutschen Zeitung“. So seien die Ermittler „nach Analyse der Dokumente und abgehörten Gespräche“ überzeugt, dass es sich bei den aufgeführten Tarnbegriffen um manipuliertes Blut, Wachstumshormone, Insulin und Testosterontabletten handelt.

Die brisanteste Enthüllung im „Spiegel“ ist der Wortlaut zweier abgehörter Telefonate des Ullrich-Intimus Rudy Pevenage mit Fuentes während des Giro d’Italia 2006. Pevenage sprach am 18. Mai abends von einer „dritten Person“, die „heute gewonnen“ habe. Zeitfahrsieger am 18. Mai in Pontedera: Jan Ullrich. Zwei Tage später der nächste Anruf Pevenages: Er habe „mit einer dritten Person im Bus geredet. Diese dritte Person ist interessiert, mehr zu haben, auch wenn es nur die Hälfte ist“. Die Ermittler seien davon überzeugt, berichtet der „Spiegel“, dass Fuentes und Pevenage verabreden wollten, Ullrich mit einer weiteren Dosis konzentrierten Eigenbluts zu versorgen. Die „dritte Person“ gilt den Ermittlern als dritter Codename für Jan Ullrich.

T-Mobile-Teamchef Olaf Ludwig hat derweil den bis zum Jahresende laufenden Vertrag mit Pevenage fristlos gekündigt: „Rudy hat die Kündigung.“ Beim suspendierten Ullrich scheint die Situation schwieriger. Manager Wolfgang Strohband hat trotz aller schwer wiegenden Verdachtsmomente gegen seinen Mandanten eine Gegenoffensive gestartet: „Wir warten auf eine Anschuldigung gegen Jan und haben T-Mobile dafür eine Frist gesetzt. Man soll uns sagen, was man Jan konkret vorwirft. Die Vorwürfe aus Spanien zielen doch auf Rudy Pevenage. Jans Nähe zu ihm ist allerdings unbestritten.“ Bisher hätten Ullrichs Anwälte noch keine Einsicht in die Ermittlungsakten gehabt. „Unsere spanischen Anwälte kümmern sich darum. Wir tappen noch völlig im Dunkeln.“

Der für den Sport zuständige Kommunikationsleiter bei T-Mobile, Christian Frommert, bestätigte gegenüber der Deutschen Presseagentur, dass auch eine Vereinbarung, die Ullrich eine Weiterbeschäftigung im Konzern nach dem Ende seiner sportlichen Karriere garantierte, auf dem Prüfstand stehe. Ullrichs Vertrag läuft zum Ende des Jahres aus.

Rudy Pevenage, den man sonst stets mit dem Handy am Ohr herumlaufen sieht, lässt bei Anrufen über seine Mailbox ausrichten: „Nicht erreichbar.“ Der 52 Jahre alte Belgier ist abgetaucht. Jan Ullrich hingegen meldet sich auf seiner Homepage – nicht zum Thema, sondern mit Tränen: „Ich fiebere jeden Tag mit meinen Jungs.“ Als ihm Matthias Kessler den Sieg in Valkenburg widmete, habe er, Ullrich, „Tränen in den Augen gehabt“. Mit dem Verdacht gegen ihn werden auch Erinnerung an frühere Äußerungen Ullrichs zum Doping wiederbelebt. Nach der Razzia von San Remo während des Giro d’Italia 2001 forderte Ullrich in der Lobby des Team-Hotels im zugeschalteten „Aktuellen Sportstudio“: „Wer erwischt wird, sollte nicht nach einem Jahr zurückkommen, sondern überhaupt nicht mehr zum Radsport gehören.“ Rudy Pevenage saß nebendran, schlug die Hände vors Gesicht und rutschte vom Sofa.

Hartmut Scherzer[Rennes]

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