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Sport: Tausend Hände gegen Bayern

Die Münchner haben eine spezielle Beziehung zum Pokalgegner Neunkirchen

Neunkirchen. Der Kaiser, so denkt der Fußballfreund vielleicht, kennt das Gefühl der Niederlage gar nicht. Franz Beckenbauer scheint doch immer zu gewinnen und immer gewonnen zu haben. Was er anfasst, wird zu Gold. Und doch gab es ganz wenige schmerzliche Erlebnisse selbst im vom Glück gesegneten Leben der Lichtgestalt. So gleich zu Beginn der kaiserlichen Karriere: In der Aufstiegsrunde zur Bundesliga im Juni 1964 musste Beckenbauer, dank einer Sondergenehmigung als Jugend-Spieler erstmals zum Mitspielen bei den Großen berechtigt, nebst Kameraden Borussia Neunkirchen den Vortritt lassen. Das Licht der Bundesliga erblickten Beckenbauer und der FC Bayern München deshalb erst mit einem weiteren Jahr Verspätung.

Gewissermaßen ist der soeben aus der Regionalliga Süd in die Oberliga Südwest abgestiegene Traditionsverein aus dem Saarland, in dessen Ellenfeld-Stadion der deutsche Rekordmeister heute (17.45 Uhr) zum Spiel der ersten Hauptrunde im DFB-Pokal antritt, der Verein, der den Höhenflug der Bayern am schmerzhaftesten stoppte. „Das war für die so bitter, dass sie sich noch heute nicht gern daran erinnern“, sagt Günter Kuntz, einer der Neunkirchener Helden von einst.

Heute zählt Neunkirchen 50 000 Einwohner, die ihre Stadt teilen mit den Ruinen aus der Bergarbeiterzeit. In den Sportläden liegen fast ausschließlich Trikots des FC Bayern in der Auslage. Im Sommer 1964 dagegen war ganz Neunkirchen vom Fußball erfasst. Die höchste deutsche Spielklasse suchte nach der ersten Saison Ersatz für die Absteiger Preußen Münster und 1. FC Saarbrücken. Neunkirchen kämpfte in einer Vierergruppe mit den Bayern um den Aufstieg.

Beide Vereine hätten eigentlich bereits im Vorjahr bei der Gründung der Bundesliga zu den 16 Auserwählten gehören müssen. Vor allem die Borussen, Ende der Fünfziger- und Anfang der Sechzigerjahre mehrfach Regionalligameister und einmal Finalist im DFB- Pokal, hatten aus sportlichen Gesichtspunkten mehr Anrecht auf die Bundesligazugehörigkeit als der Saarrivale 1. FC Saarbrücken. Doch die besseren Kontakte zum DFB sollen dem Klub aus der Landeshauptstadt die Aufnahme in die neue Liga beschert haben.

Umso motivierter waren die Neunkirchener, nur die Bayern standen im Weg. Das Team von Trainerlegende Tschik Cajkovski – neben Beckenbauer spielte übrigens auch Sepp Maier mit – war der große Favorit. So blieb es auch bis zu jenem Tag im Stadion an der Grünwalder Straße in München, an dem sich Willi Ertz den Beinamen „Der Mann mit den tausend Händen“ verdiente. „Die Bayern waren Tabellenführer und hätten nach dem 1:0-Sieg bei uns in Neunkirchen mit einem zweiten Sieg den Aufstieg klarmachen können“, erinnert sich Ertz. Doch der fast zwei Meter große Torwart trieb die Bayern mit seinen Paraden zur Verzweiflung, Karl Ringel und Günter Kuntz, Vater des späteren Nationalspielers Stefan, bescherten den Neunkirchenern den 2:0-Auswärtssieg. Mit einem 1:0 gegen Tasmania Berlin spielten sich Ertz und Co. zwei Wochen später in den Kreis der besten deutschen Fußballvereine, in dem sie drei Spielzeiten als kleinste Bundesligastadt verbrachten. Ertz’ Glanzleistung kommentierte Trainer Tschik Cajkovski später so: „Langes Ertz hat gekostet FC Bayern eine Jahr Bundesliga.“ Und wer hat den Bayern jemals wieder solch eine Schmach bereitet?

Heute wollen die Neunkirchener noch einmal an die gute alte Zeit erinnern. Und das hat seinen Grund: Dem Verein geht es schlecht, seit Januar läuft das Insolvenzverfahren. Die dem Verein zustehende Hälfte aus den Pokaleinnahmen geht fast komplett ans Finanzamt. Vorstandsmitglied Peter Frohnhöfer hat deshalb eine Idee, die helfen könnte: „Vielleicht können wir Uli Hoeneß ja überzeugen, uns aus alter Verbundenheit die Einnahmen ganz zu überlassen.“

Daniel Meuren

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