zum Hauptinhalt

Sport: Tennis: Planet Venus kreist auf einer eigenen Umlaufbahn

Venus Williams hatte erlebt, wie die australische 400-Meter-Läuferin Cathy Freeman eine quälend lange Woche unter Erfolgsdruck geraten war. "Das war mörderisch für sie.

Venus Williams hatte erlebt, wie die australische 400-Meter-Läuferin Cathy Freeman eine quälend lange Woche unter Erfolgsdruck geraten war. "Das war mörderisch für sie. Cathy hat schwer mit ihrer Furcht und Nervosität gekämpft. Aber die Ehre, für ihr Land zu laufen, hat ihr Flügel verliehen", sagt die Amerikanerin. "Es war großartig, diese Explosion einer Athletin zu sehen." Es war eine Beobachtung aus der Distanz, aus der emotionalen Fremde. Denn sie selbst, Schwester Gnadenlos, schleppt gar keinen Nervenballast mit sich herum: "Mir war klar, dass ich hier in Sydney Gold holen kann. Ich gehe ohne Angst auf den Platz."

Mit einer Siegesgewissheit, die Gegner und Beobachter gleichermaßen irritiert, hat die 20-jährige Amerikanerin ihre Vormachtstellung im Damentennis auch in Sydney demonstriert. Als die älteste und schlagstärkste Vertreterin des Williams-Clans am Mittwoch im State Tennis Center vergnügt die Fahne mit dem Sternenbanner schwenkte, da war in nur 55 Minuten auch Elena Dementjeva mit 2:6 und 4:6 zur Statistin auf dem Planeten Venus degradiert worden. "Sie ist unaufhaltsam und unwiderstehlich", sagte die unterlegene Russin. "Sie spielt in einer anderen Tennis-Welt."

Und nachdem sich Venus Williams noch tagelang im Fernsehen oder live in der olympischen Welt angeschaut hatte, wie ihre Landsleute ganz oben auf dem Treppchen ihren Goldschmuck empfingen, stand endlich auch sie als Olympiasiegerin da. "Es ist ein ganz wunderbares Gefühl. Viel schöner, als ich jemals gedacht hätte." Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, als die Nationalhymne gespielt und die Flagge hochgezogen wurde: "Ein Traum ist wahr geworden, ein Traum von mir und meinem Vater." Der bekam den Siegeszug seiner Tochter wegen seiner Flugangst allerdings nur daheim vor dem Fernseher in Florida mit. "Ich konnte ihn nicht überreden, mitzukommen", sagte Venus Williams. Sie ist die dritte amerikanische Tennis-Olympiasiegerin in Folge. Zuvor hatten Jennifer Capriati 1992 in Barcelona und Lindsay Davenport 1996 in Atlanta gesiegt.

Das Gold von Sydney stellte für Venus Williams sogar noch die letzten Siege bei den Grand-Slam-Turnieren in Wimbledon und New York in den Schatten. Anders als viele Profis ist Venus Williams fasziniert vom Erlebnis Olympia: "Das war die Chance, die du nur einmal im Leben bekommst. Die anderen Wettbewerbe kannst du jedes Jahr gewinnen." Gemeinsam mit ihrer Schwester Serena Williams konnte die offizielle Nummer drei der Weltrangliste, die längst die wahre Nummer eins ist, in der Nacht zum Donnerstag auch noch zum goldenen Doppelschlag gegen die Holländerinnen Boogert/Oremans ausholen.

Mit ihrem 32. Sieg seit den French Open 2000 festigte die Amerikanerin eine Dominanz, die schon jetzt an die besten Zeiten von Steffi Graf oder Monica Seles erinnert. "Ich habe damals noch im Fernsehen bewundert, wie Steffi und Monica solche Serien durchhalten konnten", sagte Venus Williams. "Und jetzt bin ich selbst an der Spitze, und da werde ich bleiben." Gegenwärtig könne sich Venus "nur noch selbst schlagen", meinte die amerikanische Teamchefin Billie Jean King. "Sie spielt sensationelles und spektakuläres Tennis."

Es ist tatsächlich ein Tennis, das in seiner Kraft und Dynamik keine andere Athletin auf den Centrecourt zaubern kann. Nicht einmal die jüngere Schwester Serena. "Sie ist noch längst nicht so weit wie Venus", sagt Billie Jean King, die früher selbst die Nummer eins der Welt war. Allenfalls eine gesunde, austrainierte Lindsay Davenport hätte die Gold-Kampagne der "langbeinigen Gazelle" ("The Age") stoppen können, doch die Weltranglisten-Zweite stieg bereits in der zweiten Runde mit einer Verletzung aus. So drehte sie wieder einmal in ihrem eigenen Orbit durch das Pflichtprogramm. "Von mir kriegt niemand freie Punkte geschenkt. Wer gegen mich gewinnen will, muss sich schon selbst ein bisschen anstrengen", sagte Venus Williams. Wohl wissend, dass es in Sachen Fitness und Athletik sowieso keine mit ihr aufnehmen kann.

Jörg Allmeroth

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false