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Sport: Türkei im EM-Viertelfinale: Liebe Türken, gebt uns den Spaß zurück! (Kommentar)

Welcher Fußballfan erinnert sich nicht an solche Zeiten, als es noch eine mittelschwere Sensation war, dass ein türkischer Profi namens Erdal Keser sogar in der Bundesliga bei Borussia Dortmund mitspielen konnte? Damals galt die Türkei als Fußball-Entwicklungsland, als beliebter Gegner in WM- und EM-Qualifikationen.

Welcher Fußballfan erinnert sich nicht an solche Zeiten, als es noch eine mittelschwere Sensation war, dass ein türkischer Profi namens Erdal Keser sogar in der Bundesliga bei Borussia Dortmund mitspielen konnte? Damals galt die Türkei als Fußball-Entwicklungsland, als beliebter Gegner in WM- und EM-Qualifikationen. Verspielte Jungs, technisch nicht schlecht, aber eben nicht durchsetzungsfähig und ohne jede Disziplin, wenn es hart auf hart ging. Und schon gar keine Turniermannschaft. Die Türken im Europapokal? Eine Lachnummer.

Dass es in Qualifikationsrunden mittlerweile nicht mehr ganz so einfach ist, haben die Deutschen bei den letzten beiden Duellen feststellen müssen: 0:1 in Bursa verloren, in München mit viel Glück ein 0:0 gerettet. Auch im Europapokal hat Galatasaray Istanbul mit dem Gewinn des Uefa-Cups gezeigt, dass die Türken - und bei Galatasaray spielen wirklich überwiegend Türken - in Europa den Anschluss an die Spitze gefunden haben. Nun also die EM: Aus eigener Kraft hat sich die Türkei für das Viertelfinale qualifiziert, obwohl das so wichtige Auftaktspiel gegen Italien verloren ging. Im letzten Vorrundenspiel mussten die Türken Gastgeber Belgien besiegen, keine leichte Aufgabe, aber sie haben ihn besiegt. Und die Deutschen? Nun ja, lassen wir das.

Deutsche Tugenden haben bei dieser EM vor allem die Türken gezeigt. Sie sind nicht mehr so ballverliebt und spielen, dem Mannschaftserfolg zuliebe, auch mal ab. Sie sind so diszipliniert, dass beinahe jede Vorlage auf Hakan Sükür geschlagen wird, den einzigen, der körperlich jederzeit in der Lage ist, aus dem Hauch einer Chance ein Tor zu machen. Wie jetzt gegen Belgien und auch schon in Bursa gegen die Herren Kahn und Nowotny.

Hat also der türkische Fußball jetzt den deutschen überholt? Zumindest hat er von ihm profitiert. Kurioserweise sind mit dem türkischen Aufstieg die Namen deutscher Trainer eng verbunden. 1984 war letztmals eine deutsche Mannschaft vorzeitig bei einer EM gescheitert. Jupp Derwall, von Franz Beckenbauer mit Schimpf und Schande vom Bundestrainer-Posten verdrängt, feierte danach in Istanbul als "Häutling Silberlocke" Erfolge und wurde auf Händen getragen. Ihm folgten andere, wie Karlheinz Feldkamp, Christoph Daum, Harald Schumacher, Joachim Löw oder Rainer Hollmann. Und hat nicht der türkische Nationalcoach Mustafa Denizli beim Zweitligisten Alemannia Aachen eine gute Schule gehabt?

Deshalb fordern wir: Kommt jetzt ihr zu uns! Was sollen Hitzfeld, Daum, Wenger, Trapattoni? Wird nicht Denizli frei nach der EM? Kann man Galatasaray Erfolgstrainer Terim nicht davon überzeugen, statt nach Florenz ins schöne Frankfurt zu kommen und Erich Ribbeck zu beerben? Wäre es nicht an der Zeit, dem deutschen Fußball etwas zurückzugeben? Und wenn es nur die Fähigkeit wäre, am Fußball wieder etwas mehr Spaß zu haben.

Dietmar Wenck

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