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Sport: Uefa-Cup: Unaufgeregt durch die Ungemütlichkeit

Der Herr auf der Ehrentribüne hatte ein paar Brocken Deutsch gelernt, und er ließ seine Mitmenschen nur allzu gern an seinen Studienerfolgen teilhaben. "Hertha nach Hause!

Der Herr auf der Ehrentribüne hatte ein paar Brocken Deutsch gelernt, und er ließ seine Mitmenschen nur allzu gern an seinen Studienerfolgen teilhaben. "Hertha nach Hause!" - "Schauspieler!", "Simulant!", rief der Dicke im feinen Tuch eine gute Stunde lang, wann immer die Fußballer von Hertha BSC sich erfolgversprechend dem gegnerischen Tor näherten. So etwas kommt in allen Stadien der Welt vor, aber beim Rufer von Wronki handelte es sich immerhin um den Vizepräsidenten des gastgebenden Vereins Amica, und das ist dann doch nicht ganz alltäglich. Bei derart penetrant vorgetragener Unhöflichkeit durften sich die Berliner im Rückspiel der zweiten Runde des Uefa-Cups entbunden fühlen von der Pflicht, allzu freundliche Gäste zu sein. Mehr als ein 1:1 (0:0) und zwölf spannende Minuten gestatteten sie den Polen nicht. Nach dem 3:1-Sieg im Hinspiel zog Hertha ohne Glanz, aber auch ohne Probleme in die nächste Runde ein. "Jetzt fängt für uns das Geldverdienen an", sagte Manager Dieter Hoeneß. Die dritte Runde wird am Freitag ausgelost, und ein Gegner "vom Kaliber Barcelona oder Juventus Turin" (Hoeneß) käme den Berlinern gerade recht.

Schließlich wächst eine jede Mannschaft an ihrer Aufgabe, und die gegen Wronki war von vornherein nicht dazu angetan, großen Glanz zu verbreiten. Es spricht für das gewachsene Selbstbewusstsein der Berliner, aber auch für ihre Klasse, mit welcher Ruhe sie die einzige kritische Phase eines Spiels überstanden, das sie eigentlich von der ersten Minute an kontrolliert hatten. Kurz nach der Halbzeitpause hatte der flinke Krol Wronki in Führung geschossen, und plötzlich war es recht laut im Stadion. Wronki witterte die Chance, "das Unmögliche doch noch möglich zu machen" (Trainer Stefan Majewski). Nun lässt sich darüber streiten, ob dieses Ansinnen an der Unbedarftheit der jungen polnischen Mannschaft scheiterte - oder daran, dass Hertha mit der Größe eines Bundesliga-Spitzenreiters reagierte. Egal, es vergingen ganze zwölf Minuten, da schlug René Tretschok einen der Pässe, wie sie bei Hertha nur er schlagen kann. Aus der eigenen Hälfte schickte der Mittelfeldstratege Sixten Veit auf die Reise. Der lief noch zehn Meter und schob den Ball aus spitzem Winkel am herauslaufenden Torhüter Mielczrz zum 1:1 über die Linie.

Fortan kehrte wieder Ruhe ein im Stadion zu Wronki, gegen das das beschauliche Berliner Mommsenstadion eine mondäne Arena ist. Die Bezeichnung Dorfsportplatz wirkt da noch beschönigend, weil sie so etwas wie Gemütlichkeit impliziert. Und gemütlich war es keineswegs, nicht für die schutzlos dem Nieselregen ausgesetzten Zuschauer, und erst recht nicht für die Spieler. Andreas Schmidt schied schon nach zehn Minuten mit einer Adduktorenzerrung aus, René Tretschok, Kostas Konstantinidis und Marko Rehmer wurden mit Tritten auf Knöchel, Wade und Schienbein gepiesackt. Und Alex Alves, der mit Abstand gefährlichste Berliner, fühlte sich von Wronkis Verteidiger Peczak derart provoziert, dass ihn Trainer Jürgen Röber vorsichtshalber aus dem Spiel nahm. Einmal schon hatte sich der Ellenbogen des Brasilianers bedenklich dem Kinn seines Gegenspielers genähert. Erinnerungen wurden wach an das Ligapokalspiel gegen den HSV, als Alves nach einer Tätlichkeit gegen Niko Kovac die Rote Karte gesehen hatte und für den Saisonstart ausfiel.

So eine selbst verschuldete personelle Schwächung käme den Berlinern zurzeit denkbar ungelegen. Zwei Tage vor dem Bundesligaspiel in Dortmund ist die personelle Lage angespannter denn je. Schmidts Einsatz ist mehr als ungewiss, der von Stefan Beinlich und Dariusz Wosz zumindest offen, der Rest ist nach zuletzt vier Spielen in zehn Tagen schwer strapaziert. Immerhin meldete sich Sebastian Deisler nach überstandenen Kniebeschwerden mit einer guten Leistung zurück. In der zweiten Halbzeit, als er aus dem zentralen Mittelfeld auf seinen Stammplatz auf der rechten Seite wechselte, war er der beste Mann auf dem Platz. Das hatte auch der Dicke auf der Tribüne erkannt. Die letzten zwanzig Minuten wärmte er sich mit einem Schlachtruf auf, der mit "Deisler" begann und einem schwer zu definierenden Wort endete. Es wird kein freundliches gewesen sein.

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