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Sport: Uli Hoeneß warnt vor dem Fußball in den Zeiten des Casino-Kapitalismus (Kommentar)

Merkwürdige Dinge gehen vor in Deutschland. Vorgestern Abend sollen erstmals Millionen Schalke- oder Dortmund-Fans echte Sympathie für den FC Bayern empfunden haben: tapfer gekämpft, gut gespielt, trotzdem verloren.

Merkwürdige Dinge gehen vor in Deutschland. Vorgestern Abend sollen erstmals Millionen Schalke- oder Dortmund-Fans echte Sympathie für den FC Bayern empfunden haben: tapfer gekämpft, gut gespielt, trotzdem verloren. Sogar der Manager Hoeneß wirkte irgendwie nett.

Das ist neu. Früher war die Sache klar: Bayern München verkörperte alles, was wir zu hassen liebten. Die Bayern waren reich und fies, sie kauften skrupellos die Liga leer, und alle guten Menschen freuten sich, wenn sie mal gegen Freiburg oder Duisburg verloren. Zudem war der FC Bayern - anders als 1860 oder Nürnberg - kein Traditionsclub, also: ohne proletarische Wurzeln. Und Proletarier, nicht wahr, das waren wir doch alle.

Bayern München repräsentierte perfekt die alte Bundesrepublik: modern, geschichtslos, kalt und effektiv. Bayern München war der Verein, der zur Angestelltengesellschaft passte. Und ihm ging es wie den Westdeutschen in Europa: Er war sehr erfolgreich und genau so unbeliebt.

Die Abneigung gegen den FC Bayern hat niemand so klar und eindeutig formuliert wie Hartmut Heidemann, Libero des MSV Duisburg in den 60ern: "Ich hasse die Bayern und vor allem den Bazi Beckenbauer. Warum, das vermag ich nicht zu begründen." Die Verachtung des Clubs speiste sich aus verschiedenen Quellen: Grundiert wurde sie von einem in Westdeutschland verbreiteten antibajuwarischen Affekt (der einerseits leicht rassistisch war, uns andererseits den Kanzler Franz-Josef Strauß ersparte), hinzu kam Neid und eine Portion Antikapitalismus. Denn der FC Bayern war die Avantgarde, die die Verwandlung der Fußballvereine in Unternehmen vorantrieb.

Für das neureiche Image des Clubs steht seit zwanzig Jahren vor allem eine Figur: Uli Hoeneß, der Manager. Niemand verkörpert die aggressive, kaltschnäuzige Modernisierung des Profifußballs so wie er. Weil es Hoeneß zu langweilig war, in der Bundesliga dauernd Duisburg besiegen zu müssen, wollte er eine Europaliga mit Madrid, Mailand und Manchester. Daraus ist zwar nichts geworden, dafür gibt es die Championsleague. Auch die ist eine Gelddruckmaschine. Trotzdem hat Bayern jetzt ein Problem. Und zwar ein ganz ungewohntes, das sonst nur underdogs wie Freiburg und Duisburg kennen: zu wenig gute Spieler. Und noch schlimmer: zu wenig Geld. Und am schlimmsten: moralische Bedenken.

Bayern München hat derzeit in zehn Tagen vier entscheidende Spiele zu bestreiten: Bundesliga-Endspurt, DFB-Pokal, Championsleague-Halbfinale. Um das erfolgreich durchzustehen, braucht der Club noch mehr Stars, so viele, dass man auch Effenberg ersetzen kann. Real Madrid und Manchester können so etwas. Aber ManU und Real bezahlen auch mal eben 50, 60, 70 Millionen für neue Angestellte. Real hat eine halbe Milliarde Mark Schulden. Das will Hoeneß nicht. Wenn das der Preis des Erfolges ist, "dann muss ich mich fragen, ob ich das mitmachen will". Das Geld, sagt Hoeneß, ausgerechnet Hoeneß, droht den Fußball kaputt zu machen.

Wir erleben einen Imagewechsel: nicht mehr fies und reich, sondern solide und bedenkenträgerisch. Kann sein, das Hoeneß damit präventiv schon mal die Transfersummen drücken will. Und natürlich ist es bigott, sich über die Geister zu beschweren, die man selbst gerufen hat. Trotzdem: In der Championsleague, im internationalen kommerzialisierten Fußballbusiness, spielt Bayern München die Rolle, die Freiburg in der Bundesliga hat: der Club ohne Hype, der besser ist, als er eigentlich sein kann.

So wird aus Uli Hoeneß, dem Pfeffersack vom Dienst, ein Vertreter des rheinischen Kapitalismus, ein Warner vor dem Fußball im Casino-Kapitalismus. Auch daran wird man sich gewöhnen in Zeiten, in denen SPD-Finanzminister sparen und grüne Minister Krieg führen. Bleibt die Frage: Was machen wir, die passionierten Bayern-Gegner, jetzt? Einen Uli Hoeneß, der die Macht des Geldes fürchtet, kann man nicht mehr hassen. Wenn wir wirklich mal in die Gefahr kommen sollten, Mitleid mit den armen, skrupulösen Bayern zu bekommen, dann denken wir ganz fest an Oliver Kahn. Das hilft.

Stefan Reinecke

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