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Sport: Unbekannter Meister

Von Frank Bachner Berlin. Hier, in diesem Stadion, im Lohrheide-Stadion in Wattenscheid, hier spürt er so etwas wie Heimatgefühle.

Von Frank Bachner

Berlin. Hier, in diesem Stadion, im Lohrheide-Stadion in Wattenscheid, hier spürt er so etwas wie Heimatgefühle. Hier kennen ihn alle, oder wenigstens die meisten. Bei Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften ist ja Fachpublikum. Und die Fotografen wissen, wen sie da ablichten. Sie werden „Martin Buß“ zu ihren Bildern von ihm schreiben, und dass er am Sonntag den Hochsprung gewonnen hat. Gestern haben die Meisterschaften begonnen, und Buß siegt fast immer bei solchen Wettkämpfen, 1997, 1998, 1999, 2001. Ganz gewiss wird er 2002 auch gewinnen. Es ist kein echter Konkurrent da, auch wenn der Berliner Buß beim Europacup nur 2,22 m sprang. Und der eine oder andere Fotograf wird sogar noch schreiben, „Martin Buß, 2001 Hochsprung-Weltmeister.“ Buß empfände das als sagenhaft.

Da würde er ja gesehen als Sport-Größe. Da würde er sich nicht so frustriert fühlen wie bei der Wahl zum Berliner Sportler des Jahres 2001, als er nur Fünfter wurde, 324 Stimmen hinter Hertha-Verteidiger Marko Rehmer, dem Dritten. „Hinter Rehmer“, sagt Buß gedehnt, „das hat mich schon gerwurmt.“ Deshalb ist er bei der Wahl-Party früh gegangen, aber am Ausgang fragte ihn ein Fotograf: „Wie heißen Sie?“ Wenn er sich’s überlegt, dann war diese Frage, bei diesem Termin, schlimmer als der Auftritt, den er vier Wochen nach seinem sensationellen WM-Sieg hatte. Der 26-Jährige Berliner landete, als Ehrengast, in Neukölln, bei einer Tanzveranstaltung. Dann kam ein Fotograf, und folgender Dialog entstand: „Wie heißen Sie?“ – „Buß.“ – „Und was machen Sie?“ - „Hochsprung.“ – „Also Geräteturnen?“ – „Nein, Hochsprung, Leichtathletik.“ – „Und davor?“

Sicher, der Fotograf war kein Fachmann, aber es geht nicht ums Detail, es geht um Abstrakteres. Es geht um Respekt. „Ich bin der einzige deutsche Freiluft-Hochsprungweltmeister“, sagt Buß. Er fordert ja nur so etwas wie Anerkennung. Aber nach dem WM-Sieg kam kein neuer Sponsor, und die Presse reagierte kaum. Es ist, als ob es den Weltmeister Buß nicht gäbe. Nur Buß, den Menschen.

Der frustrierte Mensch Buß sieht deshalb, stärker als sonst, Dinge, die seine Probleme relativieren. Er sieht die intakte Familie, seine gesunden Kinder. Und er erinnert sich immer wieder an das englische Mädchen. Sie war vier, als man ihren Herzfehler feststellte. Sie erhielt einen Herzschrittmacher, aber mit sechs fiel sie tot auf dem Schulhof um, die Batterie war leer. Buß erfuhr es aus dem Fernsehen. Zuweilen braucht er diese Geschichte zum Festhalten. Um sich an ihr aufzurichten.

Aber zu viel Aufmerksamkeit darf er nicht erwarten in Wattenscheid. Der Männer-Stabhochsprung ist exzellent besetzt, obwohl der Olympia-Vierte Michael Stolle verletzt ausfällt. Vizeweltmeister Ingo Schultz wird die 400 m prägen, Olympiasieger Nils Schumann die 800 m, es geht ja um EM-Tickets. Erst 48 Athleten haben die A-Norm erfüllt. Diverse Athleten fehlen allerdings verletzt.

Fehlen wird wohl auch Innen- und Sportminister Otto Schily. Buß wird’s überstehen. Er sah Schily 1999 bei einer WM-Feier. Buß war WM-Dritter geworden und redete mit Hammerwurf-Weltmeister Kobs. Da sprach Schily den schlaksigen Buß an. Vielleicht war er in Gedanken, der Minister, oder es war wirklich ein Aussetzer. Jedenfalls lobte er Buß, wie toll er den Hammer werfe. Buß starrte ihn an, dann zeigte er auf Kobs. „Der Hammerwurf-Weltmeister steht hier.“

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