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Sport: Und was ist mit Charakter?

Nach dem 1:5 von Bukarest nimmt Teamchef Völler alle Schuld auf sich – dabei hat die Mannschaft versagt

„Wenn man nach so einer Niederlage sagt, der April-Termin ist Scheiße, dann hört sich das nach billiger Ausrede an. Aber der Termin ist Scheiße.“

Oliver Kahn schäumte. In der ersten Halbzeit hatte er innerhalb von 23 Minuten vier Treffer kassiert, die zweite Halbzeit verbrachte er im Mannschaftsbus. Erst in den letzten Spielminuten kam der Kapitän der deutschen Nationalelf noch einmal zurück ins Bukarester Stadion, um sich zu überzeugen, welches Ausmaß die Blamage angenommen hatte. 1:5 hieß es am Ende gegen Rumänien. „Für dieses Spiel gibt es überhaupt keine Entschuldigung“, sagte Kahn. Gibt es aber Erklärungen dafür? Ist der deutsche Fußball wirklich so schlecht? Wie wirkt sich die Blamage von Bukarest auf die EM aus?

Rudi Völler sagte viele Sätze in der Nacht. Beispielsweise auch diesen: „Die Hauptschuld trage ich.“ Das ehrt den Teamchef, doch ist das nur die halbe Wahrheit. Die handwerklichen Fehler, die Völler unterliefen, sind schnell aufgezählt. Dass der Länderspieltermin April bei allen Beteiligten unbeliebt ist, war bekannt. Er fällt in die entscheidende Meisterschaftsphase, die Nationalspieler sind mit den Gedanken bei ihren Vereinen. Kurz vor dem Spiel meldeten sich gleich vier Spieler verletzt – erst Torwart Lehmann, später Ballack und Baumann und zehn Minuten vor dem Anpfiff Nowotny. Mindestens bei Ballack und Nowotny war damit zu rechnen gewesen, weil sie schon mit leichten Blessuren angereist waren. Völler unterließ es aber, gesunde Spieler nachzunominieren. „Das ist mir eine Lehre“, sagte er hinterher.

Völlers zweiter Fehler war, seine Verteidigung erst nach dem 0:4 umzustellen. Alle Zuschauer sahen, dass Ramelow und Jeremies überfordert waren. Aber hätte er ganz darauf verzichten sollen, zwei Mittelfeldspieler in die Innenverteidigung zu bestellen? Jeremies spielt diese Rolle gelegentlich bei den Bayern, durchaus mit Erfolg, und Ramelow war Abwehrchef der deutschen Elf, die es bis ins WM-Finale gebracht hatte. Trotz ihrer klaren individuellen Fehler tragen die beiden nicht allein die Schuld: Die ganze Mannschaft versagte. Es herrschte keine Ordnung auf dem Platz, es fehlte jede Form von Kommunikation. Niemand wehrte sich – und so schwant vielen Experten, dass genau das das Problem ist, das sich nicht so einfach beheben lässt.

Man muss es wohl so sehen: Bei einem großen Turnier wird Völler gar nicht die Gelegenheit haben, solche Fehler in der Aufstellung und in der Taktik zu machen. Die Spieler werden sich ihm aufdrängen, selbst die, die angeschlagen sind. Michael Ballack etwa ließ sich die Schmerzen wegspritzen bei der Weltmeisterschaft 2002.

Vielmehr ist die Frage: Wie stark ist die Mannschaft mental? „Es ist jetzt eine Charakterfrage, wie man das wegsteckt“, sagt Michael Ballack. Er sagte nicht, dass es auch eine Frage des Charakters ist, ein solches Debakel zu verhindern. Liegt es am Ende sogar am Charakter des Wettbewerbs? In einem Freundschaftsspiel gibt es für die Spieler nichts zu gewinnen, höchstens zu verlieren. Warum hat ausgerechnet Völler, der 90-mal für Deutschland spielte, der laxen Einstellung seiner Spieler Vorschub geleistet, indem er tagelang das Ergebnis in Bukarest als „zweitrangig“ bezeichnet hatte?

Drei Gelegenheiten bieten sich den Deutschen noch, sich mit Siegen über Malta, die Schweiz und Ungarn Selbstvertrauen für die EM zu holen. Bis dahin bleibt Völler der Trost, dass es keine Länderspiele im April mehr geben wird.

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