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Sport: Vereint verlieren

Der HSV steckt tief in der Krise, aber der Trainer steht nicht zur Debatte

Von Karsten Doneck, dpa

Berlin - Mal angenommen, Igor Akinfejew hätte während seiner Arbeitszeit mal Lust auf eine Tasse Kaffee verspürt. Er wäre losgegangen, hätte in aller Ruhe sein Heißgetränk an einem der Kioske im Stadion geholt und wäre dann zurückgekehrt. Aufgefallen wäre die Abwesenheit des Torhüters von ZSKA Moskau wohl kaum. Schon gar nicht dem Hamburger SV. Der hatte in seinem zweiten Gruppenspiel in der Champions League so viel mit den eigenen Problemen zu tun, dass er gar nicht dazu kam, überhaupt mal auf das Tor der Moskauer zu schießen. „Wir hatten nach vorne hin nicht den Mut, um auch mal gefährliche Aktionen vor dem gegnerischen Tor zu schaffen“, sagte ein zerknirschter Thomas Doll nach der verdienten 0:1 (0:0)-Niederlage in Moskau, durch die sich die Krise der Hamburger weiter verschärft hat. Es war, inclusive Ligapokal, das elfte Pflichtspiel in Folge, das der HSV sieglos beendete.

In Moskau wurde dem HSV wieder einmal deutlich gemacht, was es heißt, Champions League zu spielen. Jeder kleine Fehler, jede Unaufmerksamkeit wird bestraft, rigoroser noch als in der Bundesliga. Bei einem Eckball von Cavalho stand Hamburgs Sanogo etwas zu weit weg vom Gegenspieler, Dudu nickte den Ball aus fünf Metern zum entscheidenden Tor ein (59.). Ansonsten leisteten auch die Moskauer ihren Beitrag zu einer höchst dürftigen Partie.

Krisensituationen münden nach ungeschriebenen Fußball-Gesetzmäßigkeiten fast zwangsläufig in der Trainerfrage. Für Doll, den HSV-Trainer, ging es seit Dienstantritt am 18. Oktober 2004 steil aufwärts. Auf dem letzten Platz in der Liga hat Doll den HSV übernommen, knapp zwei Jahre später steht die Mannschaft in der Champions League. Sie ist dort allerdings bisher erfolglos. Und in der Bundesliga droht als Fünftletzter wieder der Rückfall auf Platz 18. „Der Fußball-Gott hat derzeit kein HSV-Hemd an“, sagt Doll. Parallelen drängen sich auf. Auch im Jahre 2000 erreichte der HSV die Champions League. In der Bundesliga stürzte die Mannschaft 2000/01 von Platz drei auf Platz 13 ab.

Trainer Doll wird für das unerwartet schwache Abschneiden nicht zur Verantwortung gezogen. „Bei uns gibt es nicht mal den Ansatz einer Trainerdiskussion“, berichtet Jörn Wolf, der Sprecher beim HSV. Bernd Hoffmann, der Vorstandsvorsitzende, hatte schon vor dem Spiel gegen Werder Bremen (1:1) der „Sport Bild“ erzählt: „Ich kann mir kein Szenario auf der Bundesliga-Welt vorstellen, das das Team, bestehend aus diesem Vorstand und Thomas Doll, auseinanderreißt.“ Wer also Dolls Ablösung will, muss erst einmal den Vorstand kippen.

Derlei Zusammenhalt offenbart die Mannschaft auf dem Feld nicht. In Moskau arbeitete die Defensive insgesamt solide, die Offensive fand überhaupt nicht statt. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir mit voller Power in den Strafraum des Gegners eindringen wollten“, bemängelte Abwehrspieler Bastian Reinhardt. Reinhardts Weiterbeschäftigung beim Hamburger SV stand im Frühjahr stark in Frage, jetzt ist der 30-Jährige eine der wenigen stabilen Größen in der verunsicherten Mannschaft. „Fehlt das Selbstvertrauen, geht irgendwann auch der Siegeswillen verloren“, sagt Sportchef Dietmar Beiersdorfer.

Immer noch bauen sie beim HSV darauf, dass sich jetzt bald das erste Erfolgserlebnis der Saison einstellen muss. Versuch Nummer zwölf folgt am Samstag bei Eintracht Frankfurt. „Wir müssen den Hebel jetzt mal umlegen“, fordert Doll. Dazu muss der HSV freilich etwas tun, was er in Moskau versäumt hat: Er müsste auch mal aufs Tor des Gegners schießen.

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