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Johannes Herber beendete im Herbst 2012 seine Karriere. Er sagt: "Manchmal wünschte ich, dass ich früher verstanden hätte, dass mehr Mut dazu gehören mag, eine Verletzung zu kurieren, als mit ihr zu spielen."

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Verletzungen im Profisport: Ich leide, also bin ich

Für viele Sportler sind Schmerzen, Verletzungen und Medikamente Teil des Alltags – und der Identität. Doch der Grat zwischen gesunder Härte und fataler Selbstausbeutung ist schmal.

Manchmal, wenn Johannes Herber im Fernsehen ein Basketballspiel anschaut, denkt er sich in die Partie hinein. Welchen Pass hätte er gerade gespielt? Könnte er mit diesem oder jenem Spieler noch mithalten? Ab und zu spielt Herber auch noch selbst Basketball, zum Spaß. "Und wenn ich einen guten Abend habe und fünf Dreier reinschieß’, denke ich schon, ich hab’s noch drauf", sagt der 31-Jährige. Trotzdem hat der 74-malige deutsche Nationalspieler nicht bereut, dass er seine Karriere vor eineinhalb Jahren beendet hat. "Ich denke nie ernsthaft darüber nach. Ich hab noch genau im Kopf, was ich für Schmerzen hatte. Wie es mich mitgenommen hat."

"Man weiß nie, wie weit man sich pushen kann"

Sich von dem Sport zu trennen, der sein Beruf, seine Liebe, sein Leben war, ist Herber nicht leicht gefallen. Den Schmerz hat er leichten Herzens gehen lassen. Im Leistungssport scheint man das eine nicht ohne das andere haben zu können: Erfolg und Schmerz, Schmerz und Erfolg. Nahezu alle Athleten kennen das Gefühl, zu Wettkämpfen anzutreten, obwohl sie nicht gesund sind. Sie kennen Operationen und Reha-Maßnahmen, den Geschmack von Schmerzmitteln und den Geruch von Eisspray.

"No pain, no gain" heißt ein Kapitel des Buchs, das Herber gerade über seine Karriere veröffentlich hat. In "Almost Heaven" schreibt Herber über Triumphe im College, bittere Zeiten auf der Bank von Alba Berlin, Siege mit Dirk Nowitzki im Nationalteam – und immer wieder über Schmerzen. "Je stärker ich litt, desto besser glaubte ich, trainiert zu haben. Schmerzen zu tolerieren gehörte dazu und war sogar zwingend notwendig, um Grenzen auszuloten und sie weiter hinauszuschieben." Erst später wurde ihm klar, dass er seinen Körper brauchte, aber immer gegen ihn arbeitete. "Es ist ein schmaler Grat, bei dem man nie weiß, wie weit man sich pushen kann", sagt er heute.

Eigeninitiative: Oft muten sich Sportler wider besseren Wissens Belastungen zu.
Eigeninitiative: Oft muten sich Sportler wider besseren Wissens Belastungen zu.

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Auf diesem Grat bewegt sich auch Sven-Sören Christophersen. Der Handballer arbeitet gerade daran, in den Kader der Füchse Berlin zurückzukehren. Im Dezember 2012 erleidet er einen Teileinriss im Außenband des linken Knies, trotzdem fährt er mit der Nationalmannschaft zur WM. Er will die Chance nutzen, sich im linken Rückraum des Nationalteams durchzusetzen, auf der Königsposition des Handballs. Er spielt eine gute WM – und nimmt die "eine oder andere Schmerztablette", wie der heute 28-Jährige sich erinnert. "Aktuell zahle ich den Preis dafür, dass ich nicht vernünftig genug war."

Krieg gegen sich selbst

Für Vernunft scheint kein Platz zu sein, wenn es um Titel, Geld und Ruhm geht. In Sachen Selbstüberwindung ist Michael Jordan das große Vorbild für Johannes Herber. 1997 tritt Jordan mit Fieber in den Finals der NBA an, er erzielt 38 Punkte und bricht nach Spielende beinahe zusammen. Jordans "flu game", das Grippe-Spiel, wird zur Legende, die Schuhe, die er an diesem Abend trägt, werden später für 105 000 Dollar verkauft. 14 Jahre später läuft auch Dirk Nowitzki in den NBA-Endspielen mit Fieber auf. "Nowitzki ist kein Held, sondern ein Idiot", schreibt der Journalist und Mediziner Werner Bartens in der "Süddeutschen Zeitung" und verweist auf "lebensgefährliche Entzündungen des Herzmuskels, Nierenleiden und andere Erkrankungen" als Folge von Belastung bei Fieber. Die Reaktionen auf seinen Artikel sind empört. Ein Leser schreibt: "Wer eine Schlacht gewinnen will, gehört aufs Schlachtfeld, auch mit Fieber – wenn er ein Krieger ist."

Kühlung, Verbände, Eisspray: Nahezu alle Athleten kennen das Gefühl, zu Wettkämpfen anzutreten, obwohl sie nicht gesund sind.
Kühlung, Verbände, Eisspray: Nahezu alle Athleten kennen das Gefühl, zu Wettkämpfen anzutreten, obwohl sie nicht gesund sind.

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Der Krieg gegen die anderen ist aber auch immer ein Krieg gegen sich selbst. 2007 reißt sich Johannes Herber das Kreuzband. Es folgen ein weiterer Kreuzbandriss, massive Rückenprobleme und eine chronische Entzündung des Schleimbeutels und der Knochenhaut in der Ferse, gegen die er 2012 nach etlichen Jahren "playing hurt" nicht mehr ankämpfen will. "Playing hurt bedeutet, trotz einer Verletzung zu spielen, die eigene Gesundheit dem Wohle des Teams unterzuordnen", schreibt Herber. "Es ist ein Zeichen von Hingabe, ein Gütesiegel für jeden Spieler. Ich spielte mit gerissenen Bändern, gezerrten Muskeln, frisch genähten Platzwunden, mit Erkältung und Fieber. Am Tag nach meinem ersten Kreuzbandriss trainierte ich." Irgendwann rächt sich das. "Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Es war, als ob er sagte: Jetzt bestimme ich! Plötzlich kämpften wir gegen- statt miteinander."

Auch Christophersen hat sich früher nicht die Zeit genommen, um sich auszukurieren. Wie auch? Spitzenhandballer wie er kommen im Jahr mit Bundesliga, Europapokal und Nationalmannschaft auf rund 70 Spiele. Angesichts dieser Dauerbelastung heilt Christophersens Knie nicht aus, er spielt unter seinem Niveau, im Juni 2013 reißt ihm die Patellasehne, danach zieht sich die Genesung hin. Zurzeit arbeitet er mit einem Experten an seinem Comeback. "Ich fange jetzt nicht wieder an, Tabletten zu fressen", sagt er, "nur um wieder Handball zu spielen."

Schmerz als "weiteres Opfer"

Johannes Herber hat diese Entscheidung erst getroffen, als es schon zu spät war. Vielleicht hätte sein Körper nach einer weiteren Operation noch einmal mitgemacht, sein Kopf aber war dem Dauerschmerz nicht mehr gewachsen. Wirklich gesund war Herber in dieser Zeit nur selten. "Es geht ja immer nur darum, jemanden ,wieder hinzubekommen‘, ihn ,fit zu kriegen‘ oder ,spielfähig zu machen‘. Von ,heilen‘ traut sich im Leistungssport niemand zu sprechen." So wird der alltägliche Schmerz zu einem "weiteren Opfer, einem Liebesbeweis für das Spiel", wie Herber schreibt. "Mit meinen Mitspielern teilte ich den ersten Gedanken des Tages: Wie mit dem möglichst geringsten Schmerz aus dem Bett aufstehen?"

Im Herbst 2012, Herber ist 29 Jahre alt, tritt er vor sein Team, die Frankfurt Skyliners. Er sagt: "Ich habe es satt, verletzt zu sein. Ich habe es satt, mit Schmerzen zu spielen. Ich habe dieses Spiel immer geliebt, ich will nicht, dass Basketball nur noch Schmerz und Kampf und Schinderei ist." Dann packt er seine Sachen und fährt nach Hause. "Ich bereue wenige Dinge in meinem Leben", schreibt er. "aber manchmal wünschte ich, dass ich früher verstanden hätte, dass mehr Mut dazu gehören mag, eine Verletzung zu kurieren, als mit ihr zu spielen."

Zeit nötig: Sven-Sören Christophersen zog sich im Juni 2013 einen Riss der Patellasehne zu, arbeitet aktuell mit einem Experten in der Reha.
Zeit nötig: Sven-Sören Christophersen zog sich im Juni 2013 einen Riss der Patellasehne zu, arbeitet aktuell mit einem Experten in der Reha.

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Seit ein paar Tagen arbeitet Herber, der Politik und Internationale Beziehungen studiert hat, im Fachbereich Sport für den Gewerkschaftsverband "Uni" in Brüssel. Dort will er dagegen kämpfen, dass Ligen und Verbände den Spielplan weiter aufblähen, um so auf dem Rücken der Sportler mehr Profit zu machen. Die freiwillige Selbstausbeutung wird aber keine Gewerkschaft der Welt stoppen können, das weiß auch Herber. "Ich hab das ja auch aus eigenem Willen gemacht und insgeheim von meinen Mitspielern erwartet", sagt er. "Aber es wäre schön, die Kultur zu schaffen, dass ein Spieler sagen kann, dass er mal einen Tag Pause braucht. Dass das cool ist."

Sven-Sören Christophersen will sich die Zeit nehmen, die er braucht. Für seinen Klub stehen zwei Höhepunkte an – das Pokal-Final-Four in Hamburg am übernächsten Wochenende und das Final Four im EHF-Cup in Berlin Mitte Mai. "Für Hamburg habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, in Berlin will ich unbedingt dabei sein" sagt Christophersen. "Wenn es kein Risiko gibt. "

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