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VfL Wolfsburg: Die krumme Kanone

Wolfsburgs Stürmer Grafite erlebt einen selten tiefen Absturz – vom Torschützenkönig zum Chancentod. Dem 30-Jährigen misslingen derzeit auch die einfachsten Dinge.

Von Christian Otto

Kurz vor Mitternacht kamen die harten Fakten ins Spiel. Uefa-Funktionäre, Europas Fußball-Hüter, verteilen nach jedem Spiel in der Champions League dicke Papierstapel mit allen nur erdenklichen, statistischen Werten. Das Sammelsurium zum torlosen Kick des VfL Wolfsburg gegen Besiktas Istanbul las sich wie eine Krankschreibung für Grafite. Ob es um gewonnene Zweikämpfe, gelungene Pässe oder abgegebene Torschüsse ging: Keinem Spieler auf dem Platz wurden schlechtere Werte attestiert als dem Brasilianer. Sein glückloser Auftritt, gekrönt durch einen Platzverweis, hatte tragische Züge. War das wirklich der Mann, der vor kurzem mit Preisen und Lobeshymnen überhäuft worden ist?

Das entschuldigende Winken vor der Tribüne, als Grafite nach seinem kleinen Ausraster mit hängendem Kopf vom Platz schlich, war das Letzte, was von ihm an diesem Mittwochabend zu sehen war. Natürlich hatte er sich schneller geduscht und auf den Heimweg gemacht, als ihm bohrende Fragen gestellt werden konnten. Also versuchten andere zu erklären, warum der frustrierte Stürmer wieder einmal nicht das Tor, sondern mit einer Art wischenden Handbewegung nur das Gesicht des Istanbuler Verteidigers Ibrahim Kas getroffen hatte. „Klar ist, dass solche Dinge nicht passieren dürfen. Aber Grafite muss sich bei uns nicht entschuldigen“, sagte der Wolfsburger Torhüter Diego Benaglio über das Gerangel kurz vor einem Wolfsburger Eckball. „Ein kleines Tief ist normal. Grafite ist auch nur ein Mensch“, sagte Sascha Riether. Und Nationalspieler Christian Gentner sagte: „Die Rote Karte war unglücklich und nicht gut für die Mannschaft. Aber wir werden Grafite auch wieder anders erleben.“

Was aus dem eigenen Team gut gemeint war, beschönigte einen Absturz, der in seiner Tiefe nur schwer zu fassen ist. Das wundersame Fußball-Märchen von Grafite, der vor dem Sommer Tore nach Belieben schoss, wird mit einem traurigen Kapitel fortgesetzt. Dem 30-Jährigen misslingen derzeit auch die einfachsten Dinge. Der Ball gehorcht ihm nicht mehr, die Bindung zum Spiel ist völlig verloren gegangen. „Wir werden in Ruhe darüber sprechen“, sagte Trainer Armin Veh und meinte auch die drohende Sperre für Grafite, der eigentlich als Erfolgsgarant in der Champions League eingeplant war.

Die Disharmonie zwischen Grafite und seinem Sturmpartner Edin Dzeko, die auf dem Platz kaum noch miteinander sprechen, hat keinen zwischenmenschlichen Ursprung. „Ein Stürmer ohne Tore erregt nun einmal Aufmerksamkeit“, sagte der Wolfsburger Kapitän Josué und bat um Geduld für seinen Landsmann. Es bleibt aber keine Zeit, dem Sorgenkind im Team des Deutschen Meisters eine schöpferische Pause zu gönnen. Weil der Nigerianer Obafemi Martins derzeit eine ähnliche schlechte Ergänzung zu Dzeko abgibt, gehört Grafite im Sonntagsspiel der Bundesliga bei Hertha BSC wieder zum Stammpersonal. „Wir geben alles dafür“, versichert Josué, „dass es möglichst bald wieder den Grafite der vergangenen Saison zu sehen gibt.“

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