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Sport: Vier Freunde wollen sie sein

Von Stefan Hermanns Seogwipo. Im Nachhinein müsste Carsten Ramelow noch eine besondere Gratifikation erhalten, eine Urkunde zum Beispiel, ein Abendessen mit dem DFB-Präsidenten, eine goldene Krawattennadel oder irgendein anderes geschmackvolles Präsent.

Von Stefan Hermanns

Seogwipo. Im Nachhinein müsste Carsten Ramelow noch eine besondere Gratifikation erhalten, eine Urkunde zum Beispiel, ein Abendessen mit dem DFB-Präsidenten, eine goldene Krawattennadel oder irgendein anderes geschmackvolles Präsent. Der deutschen Nationalmannschaft konnte eigentlich gar nichts Besseres passieren als das unnötige Foul Ramelows an Samuel Eto’o und der daraus folgende Platzverweis im Spiel gegen Kamerun. Nicht nur, weil die numerische Unterlegenheit erst den Widerstandsgeist der Deutschen weckte, sondern auch, weil Teamchef Rudi Völler die Hinausstellung seines Abwehrchefs zu einer taktischen Änderung nutzte, die sich als großer Glücksfall erwies. Anstatt Jens Jeremies auf Ramelows Position zu berufen, gruppierte Völler die vorhandenen Kräfte einfach zu einer Viererkette um. Mit Erfolg. „Das hat hervorragend geklappt“, sagte Oliver Kahn.

Kahn ist der Kapitän, und sein Wort hat Gewicht. Normalerweise. Denn nur weil sich einige Führungsspieler für die Viererkette und gegen die bisherige Dreierformation ausgesprochen haben, heißt das noch lange nicht, dass Rudi Völler diesen Empfehlungen auch folgen wird. Völler hat seinen eigenen Kopf und tut nur ungern das, was andere von ihm verlangen. So weit geht die Demokratie bei der Nationalmannschaft jedenfalls nicht, dass die Spieler – und seien sie noch so wichtig – ein Mitspracherecht besitzen. „Es ist ganz wichtig, dass die Spieler darüber nachdenken, wie etwas funktioniert“, sagt Bundestrainer Michael Skibbe. Aber wie gespielt wird, „das entscheiden wir allein“.

Zuletzt war das gegen Kamerun zu sehen. Die halbe Nation hatte vor der Begegnung darüber spekuliert, welche personellen Veränderungen Völler vornehmen würde: Bode für Ziege und/oder Bierhoff für Jancker und/oder Rehmer für Frings? Und dann spielte die Nationalmannschaft doch wieder in exakt derselben Besetzung wie in den beiden Spielen zuvor. Gegen Paraguay am Samstag geht das nicht. Neben Ramelow sind auch Dietmar Hamann und Christian Ziege gesperrt. Völler muss also mindestens drei neue Spieler bringen, ganz abgesehen davon, dass sich Carsten Jancker gegen Kamerun erneut mit aller Macht für einen Platz auf der Ersatzbank empfohlen hatte. „Es ist auch für die Moral einer Mannschaft gut, wenn andere mal zum Zuge kommen“, sagt Skibbe. Denn wer hart trainiert und trotzdem nie spielen darf, weil der Trainer seine Stammelf partout nicht verändern will, wird irgendwann die Lust verlieren.

In kaum einem anderen Beruf wird man so sehr mit guten Ratschlägen versehen wie in dem des Bundestrainers. Vermutlich ist es daher genau die richtige Entscheidung Völlers, nicht allzu viel auf die Einlassungen von außen zu geben. Andererseits ist es ein Unterschied, ob die Wortmeldungen von Journalisten kommen oder aus den eigenen Reihen. Es ist jedenfalls unüberhörbar, dass sich in der deutschen Mannschaft der Wunsch nach der Viererkette regt. Neben Kahn hat sich auch Jens Jeremies für eine Änderung der Taktik ausgesprochen: „Wir sind alle einig, dass die Viererkette ein sehr gutes System ist.“ Nicht nur das: Sie gilt inzwischen als die Formation, die der deutschen Abwehr die größte Sicherheit verleiht.

Das war nicht immer so. Noch bei der EM 2000 ließ Teamchef Ribbeck mit klassischem Libero spielen. Ribbeck scheute die taktische Veränderung, weil sie ihm den letzten Grund geraubt hätte, den fast 40-jährigen Lothar Matthäus noch weiter einzusetzen. Die Deutschen sind ohnehin nie die größten Freunde der Viererkette gewesen. Deren Funktionsweise ist ihnen stets ein bisschen rätselhaft geblieben. Viererkette? Verschieben? Raumdeckung? Die Abwehrspieler sollen gefälligst gucken, dass sie bei ihrem Mann bleiben. Basta.

Komischerweise wird der Ruf nach der Viererkette in der deutschen Mannschaft zu einem Zeitpunkt laut, da die Theoretiker des Spiels ihre Blütezeit schon wieder für beendet erklärt haben. Nach dem jüngsten System-Update gilt die Dreierkette als der Taktik neuester Stand. Mit drei Verteidigern auf einer Linie, dazu fünf Mittelfeldspielern und zwei Stürmern, spielt zum Beispiel Brasilien, so spielt auch Deutschlands Achtelfinalgegner Paraguay, der sich noch mit Viererkette und 4-4-2-System erfolgreich durch die WM-Qualifikation gekämpft hat.

Manchmal geht es bei solchen Fragen jedoch weniger um Taktik als um Psychologie. Nur wenige denken so wie Christoph Metzelder, der sagt: „Egal ob Dreier- oder Viererkette – wenn man sich konzentriert, kann man alles spielen.“ Viel wichtiger ist die Identifikation der Spieler mit einem System. Michael Ballack etwa fand, dass gegen Kamerun nach der Umstellung auf die Viererkette „fast nicht aufgefallen ist, dass wir einen Mann weniger hatten. Der Teamchef hat das sicher auch gesehen.“ Bestimmt. Die Frage ist nur, welchen Schluss er daraus zieht.

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