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Sport: Von allen guten Kräften verlassen

Wladimir Klitschko verliert im WM-Kampf gegen Lemon Brewster unerwartet durch K.o. nach fünf Runden

Las Vegas. Ringrichter Robert Byrd stand breitbeinig über dem gefallenen Hünen, machte sogar Anstalten, ihm hochzuhelfen. Doch Wladimir Klitschko schaffte es nur bis auf die Knie, stierte mit leeren Augen hinüber zu seinen Sekundanten. Er nahm nicht wahr, wie sein großer Bruder Witali und Cheftrainer Emanuel Steward ihn verzweifelt aufforderten aufzustehen. Die Runde war doch schon vorbei. Als der Ringrichter ihn schließlich ansprach, reagierte Klitschko nicht. Da signalisierte Byrd das Aus. „Noch nie habe ich einen Kampf so beendet“, sagte er später. Technischer K. o. am Ende der fünften Runde, so lautete das offizielle Urteil. An Rücktritt denkt Klitschko jedoch nicht. „Mit so einem Kampf werde ich meine Karriere definitiv nicht beenden“, sagte er.

Klitschko flach im Ring liegend – das erinnerte an das Debakel vor einem Jahr gegen Corrie Sanders. Der K. o. gegen den US-Amerikaner Lamon Brewster war schon sein zweiter schwerer K. o. innerhalb eines Jahres, der dritte in 45 Kämpfen. Manager Klaus-Peter Kohl und Trainer Fritz Sdunek sprachen danach von einer längeren Pause.

Klitschko selbst trat an diesem Abend nicht mehr vor die Öffentlichkeit. Ringärztin Margret Goodman schickte den Geschlagenen zunächst ins Krankenhaus und erteilte ihm Interviewverbot. Witali Klitschko, sein Bruder, und Steward erschienen jedoch auch nicht zur Pressekonferenz. Die Ankündigung seines Mediensprechers, er werde noch zu den deutschen Journalisten kommen und sei bereits auf dem Weg, wurde nach einer Stunde widerrufen. Nur ein Zitat Wladimirs wurde aus dem Krankenhaus übermittelt: „Schon ab der ersten Runde habe ich mich aus unerklärlichen Gründen schlapp, saft- und kraftlos gefühlt. Es ist mir unerklärlich, wie so etwas passieren konnte.“

Es war ein seltsames Ende eines seltsamen Boxkampfes. Der Gong hatte die fünfte Runde schon beendet. Brewster hockte, ermattet und nach Atem ringend, auf seinem Schemel in der Ecke des Rings, während sein Gegner bereits zu Boden gestürzt war. Unfähig, den Weg in seine Ecke zu schaffen, war Wladimir Klitschko vornüber gekippt. Weltmeister im Schwergewicht der WBO war völlig überraschend für die 11 500 Zuschauer im Mandalay Bay Hotel und Casino von Las Vegas der 11:1-Außenseiter Brewster.

Klitschkos Problem ist eine Kopfsache, das offenbar auch die ständigen Trainerwechsel nicht lösen können. Sobald der Zwei-Meter-Riese in Bedrängnis gerät, verliert er die Übersicht. Sein Auftritt wirkte von Beginn an ängstlich und unsicher, obwohl er vier Runden lang mit seiner linken Führhand den 14 Zentimeter kleineren Gegner verprügelte, ihn in der vierten Runde mit einer krachenden Rechten sogar schwer zu Boden schlug. Beide Boxer waren zu diesem Zeitpunkt schon derart erschöpft, dass sie im folgenden Gerangel gemeinsam zu Boden fielen.

Die Statistik, 311:158 Schläge, 120:43 Treffer, dreimal 48:45 Punkte nach fünf Runden, bestätigte Klitschkos Dominanz. Alle Aktionen aber wirkten hektisch und verkrampft. „Wladimir hat den alten Fehler begangen, nach dem Niederschlag alles mit Gewalt zu versuchen und den K. o. schnellstens herbeizuführen“, sagte Sdunek. Dabei hatte sich der Ukrainer völlig verausgabt, anstatt geduldig weiter auf die nächste Gelegenheit zum K. o. zu warten. „Schrecklich“, stöhnte Manager Kohl. „Bei seiner Erfahrung von über 40 Kämpfen durfte das nicht passieren.“

„Als es ernst wurde, hat Wladimir wieder unklug geboxt wie bei den Niederlagen gegen Puritty und Sanders“, klagte Sdunek. In der Ecke hatte Steward das Sagen. Doch vor der fünften Runde mahnte Sdunek: „Wladimir, bleib aus der Linie und schlag die Rechte drüber.“ Er hatte die Gefahr des überhasteteten Boxens geahnt. Ein linker Haken Brewsters erschütterte Klitschko bis in die Zehenspitzen. Die Seile fingen den Koloss unter den folgenden Schlägen auf, sonst wäre er umgefallen. Deswegen wertete Ringrichter Byrd die Szene als Niederschlag, zählte den schwer Getroffenen an, obwohl es bei einem angeschlagenen, aber noch stehenden Boxer nach den Regeln kein Anzählen gibt. Es war der Anfang vom Ende.

Brewster besitzt keine Klasse, er ist eher ein Haudrauf. Dennoch hatte er trotz aller Prügel, die er einsteckte, den stärkeren Willen. „Schon Mitte der ersten Runde waren meine Beine wie Gummi“, sagte Klitschko am Tag nach dem Kampf. „Als ich Brewster am Boden hatte, besaß ich einfach keine Kraft mehr, um ihn auch auszuknocken.“

Der Traum der Klitschkos, als erste Brüder gleichzeitig Champions im Schwergewicht zu sein, ist nun beendet. Witali Klitschko kämpft am 24. April in Los Angeles gegen Corrie Sanders um den WBC-Weltmeistertitel. Am gestrigen Montag verbreitete der Sport-Informationsdienst (sid) Spekulationen, wonach bei Wladimir Klitschko erhöhte Blutzuckerwerte festgestellt worden seien und der Boxer möglicherweise an Diabetes leide. Der Sprecher von Universum, Christoph Rybarczyk, sagte dem Tagesspiegel indes: „Das ist Unsinn, das sind wilde Spekulationen. Wladimir hat keinen Diabetes.“ Dagegen bestätigte Witali Klitschko einen „ungewöhnlichen Bluttest“ seines Bruders mit einem überhöhten Blutzuckerspiegel nach dem Kampf. Die komplette Analyse von Wladimir Klitschkos Blut werde nun ein, zwei Tage dauern, bis dahin „wollen wir keine Spekulationen anstellen“, sagte Witali Klitschko.

Hartmut Scherzer

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