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Sport: Von Reifen und Egos

Der erbitterte Kampf um Geld und Einfluss gefährdet ernsthaft die Zukunft der Formel 1

Colin Kolles ist noch nicht lange in der Formel 1. Knapp sieben Monate haben dem Jordan-Teamchef aber genügt, um ein wesentliches Merkmal der Rennserie herauszuarbeiten. „Es gibt in der Formel 1 ein paar ziemlich große Egos“, sagt Kolles.

Inzwischen sind die Egos so groß geworden, dass für die Autos mitunter kein Platz mehr bleibt. Beim Rennen in Indianapolis traten nach Streitereien nur drei Teams an. Seit Jahrzehnten versucht die Formel1 in den USA Fuß zu fassen, doch am vergangenen Sonntag haben die Verantwortlichen alle Bemühungen mit einem Schlag torpediert, weil sie sich als heillos zerstrittener Haufen präsentierten. Vordergründig waren die mangelhaften Reifen des Herstellers Michelin das Problem – doch die wirkliche Ursache hat wohl Colin Kolles ausgemacht. Die Stellungen im Kampf der Egos sind so verhärtet, dass das Fortbestehen der größten Rennserie der Welt ernsthaft gefährdet scheint.

Da ist zum Beispiel der macht- und geldverliebte Alleinherrscher der Formel 1, Bernie Ecclestone. Seit Anfang der Achtzigerjahre besitzt der kleine Brite mit dem großen Selbstbewusstsein die Vermarktungsrechte an der Formel 1. Er ist unter genau zwei Voraussetzungen bereit, etwas davon abzutreten: Wenn es gar nicht mehr anders geht oder wenn es auf lange Sicht der Mehrung seines Vermögens dient. Aus genau diesen Gründen zog er Anfang des Jahres erst das Weltmeisterteam Ferrari und dann Red Bull und Jordan mit nicht unerheblichen Zuwendungen auf seine Seite und brachte sie dazu, das Concorde Agreement, den Rahmenvertrag der Formel 1, über das Jahr 2007 hinaus zu verlängern. An Ecclestones Seite steht sein alter Freund Max Mosley. Der Präsident des Automobil-Weltverbandes (Fia) zeigt sich anders als Ecclestone aber nicht ausschließlich am Geldverdienen interessiert, sondern in letzter Zeit vor allem am Fortbestehen der Formel 1. Als seine schärfsten Gegner hat er dabei die großen Automobilkonzerne ausgemacht: Daimler-Chrysler, Toyota, BMW, Honda und Renault.

Die fünf Global Player haben sich mit den Rennställen McLaren, Williams, BAR und Minardi zusammengetan. Diese so unterschiedlichen Unternehmen eint ein gemeinsames Ziel: Sie wollen mehr Geld. Jedenfalls mehr als die 47 Prozent der etwa vier Milliarden Dollar Formel-1-Vermarktungserlöse, die ihnen Ecclestone überlassen möchte. Seit Jahren drohen die Hersteller damit, nach dem Auslaufen des Concorde Agreements Ende 2007 eine Konkurrenzserie zu gründen.

Dass die Zuschauer in Indianapolis nur einen Kleinen Preis der USA zu sehen bekamen, hatten sie dem Umstand zu verdanken, dass die Front im Reifenstreit praktisch deckungsgleich mit der im Prämienstreit verlief. Im Lager der Michelin-Teams waren alle abspaltungswilligen Großkonzerne vertreten, die der Verbindung Mosley/Ecclestone/Ferrari gegenüber standen. Die Parteien hatten zwei Tage Zeit, eine Lösung zu erarbeiten – am Ende standen nur gegenseitige Schuldzuweisungen.

Streitereien und sogar Boykotts wie zuletzt 1982 hat es in der Formel 1 immer gegeben. Diesmal jedoch ist die Situation ernster, weil jeder Streit um eine Schraube zum Politikum wird. Die Großkonzerne zwingen durch ihr ungezügeltes Wettrüsten die Privatrennställe zur Aufgabe und erlangen somit immer mehr Macht. Mosley und Ecclestone betrachten diese Entwicklung mit Sorge und steuern mit hastigen Regeländerungen zur Kostensenkung und Finanzspritzen für die kleinen Teams dagegen. Das wiederum verärgert die Hersteller, die die Formel 1 vor allem als Marketinginstrument für ihre teure Technik sehen.

„Der einzige Weg, um langfristig die Stabilität der Formel 1 zu garantieren, ist die Sicherstellung einer soliden Gruppe unabhängiger Teams“, sagt Mosley und macht klar: „Wir haben die Hersteller nicht eingeladen, sie haben sich selbst eingeladen. Sie kommen und gehen, wie es ihnen gerade passt.“ Mit Ausnahme von Ferrari sind alle momentan in der Formel 1 engagierten Konzerne in der Vergangenheit bereits mindestens einmal ausgestiegen – mit solch launischen Partnern wollen Ecclestone und Mosley nicht die Zukunft der Rennserie gestalten.

Nicht nur in dieser Beziehung ist Ferrari ein Sonderfall. Die Italiener haben als einziges verbliebenes Gründungsmitglied eine herausragende Bedeutung für die Formel 1 – und sind sich dessen vollkommen bewusst. Jahrelang hat Ferrari sich mit geschickten politischen Schachzügen immer wieder Vorteile verschafft. Der vorerst letzte gelang im Januar, als sich Ferrari überraschend von den anderen Herstellern lossagte und seine Zugehörigkeit zur Formel 1 bis 2012 verlängerte. Angesichts der 100 Millionen Dollar Mitgift von Ecclestone nahm Ferrari gern die drohende Isolierung in der Formel 1 in Kauf.

Die anderen Hersteller zeigten sich nur kurz irritiert durch den Verlust eines Mitstreiters auf dem Feldzug für eine „gerechtere Formel 1“ , wie es der frühere Daimler-Chef Jürgen Hubbert ausdrückte. „Ihnen ist es ernster denn je, eine eigene Serie zu gründen“, sagt Minardi-Teamchef Paul Stoddart. Das warnende Beispiel aus den USA, wo der Formel-Sport nach den Split von Champcar und Indy Racing League darnieder liegt, ignorieren sie, vor allem seit sie von einer Agentur erfahren haben, dass sie selbst bei ungünstigen Bedingungen 80 statt 47 Prozent der Vermarktungserlöse erzielen könnten. „Das Geld verdirbt den Rennsport“, sagt Max Mosley. Der 19. Juni 2005 könnte rückblickend einmal als der Tag bezeichnet werden, an dem die Formel 1 endgültig verdorben wurde.

Christian Hönicke

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