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Sport: Vor dem EM-Aus: Kein Glaube an die Kraft, kein Glaube an ein Wunder

Der Montag war noch jung, und auch Erich Ribbeck hätte sich gern jünger geben. 63 Jahre ist er jetzt alt.

Der Montag war noch jung, und auch Erich Ribbeck hätte sich gern jünger geben. 63 Jahre ist er jetzt alt. Will er da noch einmal den Wolf mimen, wenn es nur ein grauer ist, aber einer mit Biss? Einer, der noch einmal Witterung aufgenommen hat, der optimistisch durchs Revier der Deutschen streift und anregende Duftnoten setzt? Viel Zeit dafür bleibt ihm nicht. Allein, es fehlt auch ihm der Glaube. Der Glaube an die eigene Kraft fehlt. Der Glaube an ein Wunder. Die eigenen Grenzen sind aufgezeigt. "Unsere Ausgangsposition ist sehr schlecht", sagt der Teamchef vor dem letzten Vorrundenspiel der deutschen Nationalmannschaft heute in Rotterdam gegen Portugal. Ribbeck will sich nichts vorlügen, "und auch den Spielern nicht".

Was soll er also tun, jetzt, da die Stimmung innerhalb der Mannschaft "nicht so optimistisch ist"? Deprimiert sind die Spieler, "weil sie gegen England alles gegeben haben und es nicht gelangt hat". Ribbeck bleibt nur das Hoffen, dass nicht das eintritt, was sehr wahrscheinlich einzutreffen droht: das Aus in der Vorrunde. "Wir wissen, dass wir zwei Tore gegen Portugal schießen müssen", sagt der Teamchef. Das hilft allerdings nur, wenn Rumänien zeitgleich England besiegt, und daran glaubt Ribbeck im Stillen noch weniger. "Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass wir mit einem Sieg über Portugal das Turnier beenden." Vom lockeren Plauderton, mit dem Ribbeck eineinhalb Jahre durch die Fußballwelt zu schreiten beliebte, ist fast genauso wenig übrig geblieben wie von seiner oft ein wenig bemüht klingenden Zuversicht.

Jetzt hofft er nur noch, und zwar darauf, "dass ich meinen Spielern begreiflich machen kann, dass sie noch eine Chance haben". Er sagt es ohne Kraft in der Stimme. Erahnend, dass er vor seinem vielleicht letzten Spiel nicht mehr gehört wird im Team. Er selbst möchte sich nicht an den allgemeinen Abgesängen beteiligen. "Wissen Sie, mein Wohlbefinden ist nicht so wichtig." Ob er so noch nach dem Ausscheiden denkt?

In der allgemeinen Aussichtslosigkeit setzt Ribbeck auf seine Erfahrung. Diese besteht darin, dass "ich weiß, was im Fußball alles möglich ist". Na immerhin, aber wohl ein bisschen wenig für einen, der eine angeschlagene Mannschaft aufrichten will, in der sich so etwas wie Resignation breit gemacht haben scheint. "Ja, aber wir sind doch auf die Hilfe anderer angewiesen", sagt der Teamchef, und es klingt nicht nur nach einer Ausrede.

Um die Mittagszeit hatte die deutsche Nationalmannschaft im Spielort Rotterdam das Hotel Bilderberg bezogen. In einem der Konferenzräume will der als Conférencier geübte Teamchef passende Worte finden. "Wunder oder Aus", was soll er auch anderes erzählen. Vielleicht etwas von der Androhung der Uefa, die Engländer vom Turnier auszuschließen, sollte es noch einmal zu Ausschreitungen mit britischen Hooligans kommen? "Ach, wissen Sie", sagt Ribbeck, "ich gehöre ja noch einer Generation an, die sportlich denkt." Im Fußball zählten nun mal Endergebnisse, "und die sprechen im Augenblick gegen uns". Insofern verschwende er keinen Gedanken an ein Weiterkommen am grünen Tisch. Aber auch das Wort Motivation fällt nicht. "Normalerweise", sagt Ribbeck, "muss man davon ausgehen, dass die Spieler wissen, worum es geht." Aber was ist jetzt noch normal? Er wird also seinen Spielern sagen, "dass es gegen England schon ganz gut war", nur leider die Chancen nicht genutzt wurden. "Ich werde so mit den Spielern sprechen, dass sie glauben, dass sie eine Chance haben." Wie er das tun will, bleibt sein Geheimnis. "Es sollte einige wenige Dinge geben, die bei uns bleiben." Ribbeck will die letzten Fetzen Selbstwertgefühl bündeln. Schließlich gelte es zu zeigen, "dass dies nicht die schlechteste deutsche Mannschaft seit Christi Geburt ist". Ein wahrscheinlich vorletztes Mal geht der Teamchef über in die Vorwärtsverteidigung: "Ich weiß auch nicht, ob das dann aber an mir liegt, oder an den Spielern."

Ribbeck fühlt vorsichtig voraus, was passieren könnte, sollte Deutschland nach 1984 ein zweites Mal eine EM-Vorrunde nicht überstehen. Er jedenfalls würde es nicht verstehen, wenn die Spieler sagen, dass sie eigentlich keine Lust mehr verspüren, um alles in der Welt die Knochen hinzuhalten. Ribbeck weiß, dass der Hauptteil der Kritik auf ihn fallen wird, aber, und das sagt er fast schon ein bisschen trotzig, "auf die Spieler fällt auch was zurück".

Der Tag war noch jung, und Erich Ribbeck sah auch schon mal besser aus. Viel besser sogar.

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