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Sport: „Wann ist Merkel zuletzt so aus sich rausgegangen?“

Michael Ballack über Euphorie, Ekuador und die Zukunft von Bundestrainer Jürgen Klinsmann

Herr Ballack, was wäre, wenn der Bundestrainer Sie wegen Ihrer Gelben Karte nicht gegen Ekuador auflaufen ließe?

Wen, mich? Ich hab doch schon ein Spiel pausiert.

Wie vereinbar ist denn Ihr Handicap, vorbelastet zu sein, mit der offensiven Spielweise des Bundestrainers?

Das lässt sich schon vereinbaren, da müssen eben die anderen ein bisschen mehr aufpassen. Nein, im Ernst: Das ist doch ein WM-Spiel, und wir wollen Gruppenerster werden. Wir haben zwar im Hinterkopf, dass wir schon qualifiziert sind, aber wir können ja nicht taktieren. Wir können uns die Dinge nicht zurechtlegen: Sind es vielleicht die Engländer im Achtelfinale oder die Schweden oder Trinidad? Klar gibt es kritische Situationen in einem Spiel, aber dann werde ich mir vielleicht sagen: oh, jetzt nicht. Ich bin ja erfahren genug. Ich will gewinnen, ich will ein gutes Spiel abliefern. Und dazu gehören Zweikämpfe, sonst kannst du nicht gewinnen. Ich denke nicht, dass mich die Verwarnung hindern wird.

Aber gerade weil die Mannschaft schon qualifiziert ist, könnte sie sich den Luxus doch leisten, auf Sie zu verzichten?

Als Spieler möchte man spielen. Das geht jedem so. Gerade für unsere Mannschaft, die oft Gegentore kassiert hat, die Schwächen im defensiven Verhalten zeigte, ist es unumgänglich, dass sie sich einspielen muss. Anders geht es nicht.

Sie wollen also nicht die Euphorie gefährden. Alle loben die Stimmung in den Stadien, Ihr Mitspieler Christoph Metzelder hat gleich mal eine Patriotismusdebatte gestartet. Andere sehen darin die Gefahr, dass im neuen Patriotismus der Deutschen ein Nationalismus aufkeimen könnte. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Von der Debatte habe ich nichts mitbekommen. Ich finde es schön, und es sollte ja auch so sein im eigenen Land, dass die Menschen zeigen, dass sie Fan sind. Die Menschen, die mit Fahnen an ihren Autos fahren oder Fahnen aus ihren Fenstern hängen, zeigen damit ja nur, dass sie Fußballfans sind, dass sie Deutschland-Anhänger sind und mehr nicht. Das gehört bei der WM dazu. Und wir Spieler freuen uns, dass dann auch das Stadion schwarz-rot-gold ist und nicht jeder in Zivil kommt und niemand weiß, wer zu welchem Land gehört. Das ist ja auch Ausdruck dessen, was ich fühle. Ich finde das normal.

Derzeit wird über die Zukunft Klinsmanns als Bundestrainer diskutiert. Inwiefern ist der Erfolg entscheidend, ob diese Entwicklung weitergeht? Ist bei einer Niederlage im Achtelfinale alles in Frage zu stellen?

Ich weiß nicht, ob man alles in Frage stellen muss. Entscheidend ist, wie sich die Mannschaft präsentiert. Wir haben jetzt zwei Siege. Packend war die Art und Weise, wie der Sieg gegen Polen zu Stande gekommen ist.

Ist dieser Prozess, diese offensive Spiel-Philosophie unumkehrbar?

Was heißt unumkehrbar? Gemessen wird eine Mannschaft letztlich immer am Erfolg. Aber so, wie wir gegen Polen aufgetreten sind, so ist in den letzten Jahren eine deutsche Nationalmannschaft selten aufgetreten. Das war auch ein Signal in die Zukunft, egal, wie weit wir bei diesem Turnier kommen.

Ist dieser Spielweise auch die Euphorie im Land zu danken?

Diese Euphorie wollten wir Spieler ja auch irgendwie entfachen. Vor der WM wurde diskutiert, was der Fußball dem Land bringen kann. Da haben wir uns als Spieler immer ein wenig zurückgenommen. Wir haben gesagt: Ja, wir wollen nur Fußball spielen, aber natürlich, es wäre schön, wenn gewisse Nebeneffekte eine Rolle spielen würden.

War der neue Patriotismus einer dieser Nebeneffekte?

Nicht der Patriotismus vielleicht, eher schon die Euphorie. Wenn man sieht, wie sich die Angela Merkel gefreut und mitgefiebert hat, das ist toll – ich weiß ja nicht, wann sie das letzte Mal in der Öffentlichkeit so aus sich rausgegangen ist.

Sie lächeln ja so schelmisch?

Na, das ist doch auch schön – die Bundeskanzlerin, oder? Da freut man sich als Fußballer doch. Aber darum geht es uns natürlich nicht allein. Wir bewerten die beiden Siege nicht über. Natürlich werden wir an unseren Spielen gemessen. Nehmen Sie die Elfenbeinküste, die hat gut gespielt, alle haben gesagt: was für eine tolle Mannschaft, was für ein toller Offensivfußball. Aber sie sind ausgeschieden. Das meine ich. Die Frage wird immer sein, ob und wie wir gewinnen. Ich beschäftige mich nicht damit, ob wir jetzt im Achtelfinale ausscheiden. Ich frage mich nicht, ob die Euphorie vorher falsch gewesen ist, sondern man sollte jedes Spiel, jede Entwicklung so nehmen, wie sie passiert, und dann gegebenenfalls darauf reagieren. Wenn wir jetzt zweimal nur mit Glück gewonnen hätten, dann hätte man darüber diskutieren können. Aber im Moment ist es so, dass man zufrieden ist, dass eine Entwicklung zu erkennen ist und man diese einfach fortführen sollte. Wenn man merkt, da war jetzt ein Gegner, dem wir noch nicht gewachsen sind, dann muss man das auch anerkennen. Im Moment aber habe ich große Hoffnungen, dass wir Erfolg haben können mit dieser Mannschaft.

Auf die Zukunft angesprochen sagte Klinsmanns Assistent Joachim Löw gerade, dass die Trainer so viel verändert hätten, und dass es deshalb schön wäre, diesen Weg noch weiter zu gehen, mindestens bis zur EM 2008. Was hat sich verändert seit 2002 und 2004, und sind die Veränderungen in die richtige Richtung gegangen?

Gerade das Spiel gegen Polen hat eine Veränderung gezeigt. Costa Rica war schwer einzuschätzen. Das 4:2 war so ein Ergebnis, das wir oft hatten, beispielsweise beim Confed-Cup. Die Polen haben hier nicht so gut abgeschnitten, aber wir haben ein gutes Spiel gemacht. Wir haben sie im Griff gehabt, das Ergebnis hätte auch höher ausfallen können. Ich schätze zwar England, Spanien und Italien noch einmal stärker ein, aber gegen eine solch gute europäische Mannschaft wie Polen hatten wir bisher Probleme gehabt, unser Spiel zu finden. Wir haben beispielsweise gegen Slowenien und die Slowakei gespielt, die ich schwächer einschätze als die Polen. Gegen die haben wir mehr Probleme gehabt.

Jürgen Klinsmann hat jetzt sogar seinen Assistenten ins Gespräch gebracht als eventuellen Nachfolger. Wäre Löw denn geeignet?

Seit ein, zwei Tagen wird das thematisiert. Das beschäftigt uns relativ wenig. Dafür ist die WM für einen Spieler zu groß, zu bedeutsam. Ein Spieler legt alles in diese vier, hoffentlich vier Wochen. Dann ist Urlaub, dann kommt der Verein wieder. Und dann dauert es wieder vier Jahre bis zur nächsten WM. Jürgen Klinsmann ist jetzt zwei Jahre da, das ging so schnell vorbei, und es wird jetzt schon wieder diskutiert, was danach ist.

Ist das nicht legitim?

Aber was heißt denn: bei eventuellem sportlichen Erfolg – ja, und wenn der ausbleibt, dann eben nicht?

Sie werden es uns sicher erklären?

Das Geschäft ist so schnelllebig geworden, dass solche Diskussionen offenbar dazugehören. Die Spieler haben mittlerweile akzeptiert, dass eine solche Entwicklung stattgefunden hat. Wenn jetzt ein Spieler bei einem Verein zwei, drei Jahre seine Leistung nicht bringt, dann weiß er, dass über ihn diskutiert wird. Und jetzt gilt das auch für Trainer, vielleicht noch extremer. Es wird ja nur noch im Rhythmus von Turnieren gedacht. Alle zwei Jahre ist eins. Für die Spieler ist es gar keine so große Überraschung mehr, wenn selbst ein Bundestrainer nur eine Ära von WM zu WM hat.

Würden Sie als Kapitän dem Bundestrainer empfehlen, sein Werk in jedem Fall fortzusetzen, oder wie sehr hängt das vom Erfolg ab?

Was ist Erfolg? Man muss berücksichtigen, welche Mannschaft Jürgen Klinsmann zur Verfügung hat, mit welcher Mannschaft erreicht man was? Baut man eine Mannschaft erst auf, wo will man hin? Eine WM im eigenen Land ist ein Riesending. Und er hatte zwei Jahre Zeit, dafür zu arbeiten. Es wurde ja oft genug bezweifelt, dass es genug Zeit ist.

Klingt nicht gerade optimistisch…

Unsere Mannschaft ist entwicklungsfähig, ihr wird eine gute Zukunft vorausgesagt. Wir haben viele Spieler dabei, die überhaupt noch nicht ihren Zenit erreicht haben, und da ist dieser Trainer Jürgen Klinsmann sehr, sehr gut. Der bringt sie weiter. Man merkt, das ist kein Trainer, der weiß, ich habe jetzt ein unheimliches Potenzial zur Verfügung, ich muss die Mannschaft nur noch einstellen, sie zusammenfügen, das funktioniert. Er ist vielmehr ein Trainer, der viel mit diesen jungen Spielern arbeitet, der sie weiterbringt, der ein hohes Maß an Motivation, an Selbstmotivation mitbringt und an sie weitergibt. Das ist gerade für diese Spieler eine sehr gute Kombination. Mich würde es freuen, wenn er weitermachen würde, weil er dem deutschen Fußball gut tut. Aber wie gesagt, das ist natürlich auch erfolgsabhängig.

Befürchten Sie, dass die zwei Jahre den Bundestrainer zu viel Kraft gekostet haben, so dass er gar nicht weitermachen kann?

Das weiß ich nicht. Er muss selber entscheiden, wie er sich fühlt. Ich kann nicht in ihn hineinhorchen, ich weiß nicht, wie es in ihm drin aussieht, wie er sich fühlt. So, wie er sich bei uns bewegt, glaube ich das eher nicht. Er ist ja noch ein junger Trainer, das Nationalteam ist seine erste Trainerstation. Es ist sicherlich einer der stressigsten Jobs, trotzdem ist es gleichzeitig eine riesige Herausforderung. Jürgen Klinsmann ist jung, er hat Kraft und Dynamik. Die hat er schon als Spieler ausgestrahlt, und er strahlt sie auch noch heute als Trainer aus. Er hat diese Power, um den Job weiter zu machen, absolut. Für mich ist das überhaupt kein Thema.

Inwiefern hat er Sie denn angesteckt, was hat Jürgen Klinsmann bei Ihnen bewirkt?

Für mich ist es schön zu sehen, wie man eine Mannschaft formen kann. Und das auf eine Art und Weise, die für mich als Spieler ein bisschen neu war, auf dieser Motivations- und Fitnessschiene. Er hat erkannt, dass die Mannschaft in gewissen Dingen limitiert ist, dass sie in ihrer Spielweise limitiert ist. Das ist jetzt nicht negativ gemeint, sondern: Da kommen wir nicht weiter, da stoßen wir an Grenzen. Also versucht er auf anderen Wegen, die Mannschaft nach oben zu bringen, durch Motivation, durch Fitness.

Profitieren auch Sie als erfahrener Spieler?

Ja, mir geht es im Moment so, dass ich auch für mich persönlich einen Nutzen sehe.

Wird diese Philosophie erfolgreich sein?

Ja, das könnte Erfolg haben, man könnte auf diese Weise weit kommen. Das Gefühl ist gut, aber während eines Turniers ist es schwer, Prognosen abzugeben. Man kann immer ausscheiden. Vielleicht sollten wir abwarten und hinterher ein Resümee ziehen: Ja, das war gut, wir hatten zwar keinen ganz großen Erfolg, aber die Art und Weise war gut und richtig.

Glauben Sie das wirklich, dass die entscheidenden Leute das berücksichtigen?

Ich hoffe das. Sein Ansatz ist aus meiner Sicht richtig. Allein, dass wir, der Bernd Schneider und ich beispielsweise, die älteren Spieler also, dass wir noch einmal so aufgeblüht sind, weil wir wieder Freude hatten, zur Nationalmannschaft zu gehen, dass es ein bisschen lockerer geworden ist im Umgang mit den Dingen, gerade außerhalb des Fußballs. Na klar arbeitet der Bundestrainer viel mit seinen Fitnessjungs, aber er legt auch Wert auf Regeneration im Kopf. So war er als Spieler auch. Ich finde das gut, aber es gibt sicherlich auch den einen oder anderen Spieler, der die Fokussierung auf den Sport, auf das Eigentliche so braucht und sich gar nicht ablenken lassen will, durch nichts. Selbst wenn du denen sagst: Mach mal einen Tag frei, gehe mal raus, damit du auf andere Gedanken kommst, und die dann antworten: Nee, nee, nee, ich will da weitermachen, ich will gar nicht raus. Grundsätzlich wächst eine Generation von Spielern heran, die top-professionell eingestellt ist, und ich denke, dass das der richtige Weg ist.

Aber Ihre Wertschätzung für Klinsmann geht nicht so weit, dass, wenn er nicht mehr Bundestrainer ist, Sie auch Ihr Amt als Kapitän niederlegen?

Ich schätze ihn als Trainer, und ich habe mich auch gefreut, dass er mich zum Kapitän ernannt hat. Sollte es irgendwann noch mal einen anderen Bundestrainer geben, dann würde ich mich auch freuen, Kapitän der Nationalmannschaft zu sein.

Die Fragen stellte Michael Rosentritt.

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