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Sport: Weihnachtliche Mühen

Michael Ballack tritt mit Chelsea gegen Reading an und kommt über ein 2:2 nicht hinaus

Man findet sich also am zweiten Weihnachtsfeiertag mittags im Stadion wieder, Chelsea gegen den Vorstadtklub Reading, es fröstelt ein wenig, und dann fällt einem unweigerlich dieser uralte Witz ein. Ein Geisterfahrer hört im Verkehrsfunk die „Warnung vor einem Geisterfahrer“ und wundert sich: „Ein Geisterfahrer? Tausende!“ Für die Briten, die Nation der Linksfahrer, ist ja tatsächlich die Winterpause auf dem Kontinent das eigentliche Mysterium. Was machen die Europäer nur zwischen den Jahren, wundert man sich auf der Insel. Fußball gilt hier offiziell als Wintersport, und deswegen wird selbstverständlich auch Weihnachten gespielt. Schon im Mittelalter trugen englische Dörfer an christlichen Feiertagen feucht-fröhliche Wettkämpfe aus, in denen (zumindest vordergründig) ein Ball bewegt werden musste. Willkommene Anlässe für hemmungslose Massenkeilereien waren das damals.

Der Spielpaarungscomputer erweist der Historie seine Reverenz: Am Boxing Day, dem Tag, an dem früher Essenspakete (boxes) verteilt wurden, werden in der Premier League mit Vorliebe Nachbarschaftsduelle angesetzt. Heute geht es dabei jedoch vergleichsweise gesittet zu, auch bei diesem 2:2 (1:0) zwischen Chelsea und Reading. Passenderweise blieb Stephen Hunt, der Petr Cech, dem Torwart von Chelsea, im Hinspiel einen Schädelbruch zugefügt hatte und im Vorfeld Morddrohungen erhalten hatte, am Dienstag vorsorglich auf der Bank. Ziemlich ruhig, etwas ruhiger als sonst, war es an der Stamford Bridge. Der Hälfte der Besucher brummte nach dem Weihnachtsschmaus am Vortag wohl noch der Schädel, dem Rest der 42 000 zwickte es im Magen. Trainer José Mourinho – ein unwissender Ausländer – erklärte im Stadionheft, dass zu Weihnachten eigentlich „die Familie, Gesundheit und Weltthemen“ Priorität genießen sollten. Der Portugiese schonte denn auch mehrere Stammspieler, obwohl Kapitän Jon Terry verletzt fehlte.

Michael Ballack aber spielte, wenn auch mit Schwierigkeiten. Readings Trainer Steve Coppell hatte Brynjar Gunnarsson als Manndecker auf ihn angesetzt. Der Deutsche kam so kaum in die Partie und sah zudem kurz vor Ende die einzige Gelbe Karte des Spiels. Die Saison war lang und hart für ihn, und die fehlende Pause ist auch eine mentale Herausforderung, man merkte das.

Chelseas Spiel war zunächst wie gewohnt leicht schwerfällig und zähflüssig. Der weiterhin formschwache Andrej Schewtschenko durfte von Anfang an mitwirken. Ein Präsent von Mourinho. Oder doch eine Machtdemonstration? In der 4-3-3-Erfolgsformation der vergangenen zwei Spielzeiten musste der von Chelseas Eigentümer Roman Abramowitsch auf eigene Faust verpflichtete Ukrainer als braver „Kanalarbeiter“ auf der linken Seite rackern – in den „channels“, wie man die Halbpositionen auf der Insel nennt, ging er zum wiederholten Male unter.

Gut, dass es Didier Drogba gibt. Der Ivorer gewann 90 Minuten lang alle Kopfballduelle in beiden Strafräumen und war auch sonst kaum zu halten. In der 39. Minute bugsierte er erst Readings amerikanischen Torwart Marcus Hahnemann aus dem Weg und dann den Ball mit dem Schädel zum 1:0 ins Netz.

Klare Chancen hatten sich die Blues gegen die klug verteidigenden Gäste davon abgesehen kaum erspielt. Es schien auf einen typischen Arbeitssieg hinauszulaufen. Doch Reading kam mutig aus der Pause und verdient zum Ausgleich. Leroy Lita konnte nach einer Flanke von Steve Sidwell unbedrängt zum 1:1 köpfen. Wie schon in den vergangenen Partien fing Chelsea erst nach diesem Rückschlag das Stürmen an. Machtvoll und zielstrebig rollte Mourinhos Team nun nach vorne, und nach Drogbas zweitem Kopfball-Treffer wähnte Mourinho die drei Punkte bereits in der schwarzen Manteltasche. Der Aufsteiger aber wollte das auch eine Viertelstunde vor Schluss schlicht nicht wahrhaben. Er versuchte es weiter, es traf schließlich jedoch Chelseas Michael Essien – ins eigene Netz. Essiens Teamkamerad Ashley Cole hatte ihn angeschossen.

Der Meister erholte sich nicht mehr von dem unglücklichen Eigentor, am Ende dieser merkwürdigen Partie stand ein 2:2, das im Titelrennen kaum weiterhilft. „Wir haben Probleme in der Verteidigung“, gab José Mourinho hinterher zu, „und keine Alternativen. In den vergangenen drei Partien haben wir sechs Gegentore kassiert. Wir können nicht immer 3:2 gewinnen.“ Besonders das Fehlen Terrys und Cechs mache sich bemerkbar, sagte der Portugiese. „Aber es ist kein Drama. Wir müssen jetzt durch diese Phase durch. Dann kommen ein paar Spieler zurück und wir können wieder angreifen.“ „Weltthemen“ und die Familie werden im Hause Mourinho weiter zu kurz kommen.

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