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Sport: Weltmeister von Richters Gnaden

Ein New Yorker Gericht kürt Graciano Rocchigiani zum Box--Champion – für die Zeit von 1998 bis 2000

New York (Tsp/dpa). Er war ganz unten: Wegen Körperverletzung und Fahrens ohne Führerschein saß Boxer Graciano Rocchigiani im vergangenen Jahr 279 Tage in Haft. Jetzt, nur wenige Monate später, ist er wieder weit oben – und musste dazu nicht einmal seine Fäuste einsetzen. Genau genommen musste der 39Jährige gar nichts tun. Richard Owen handelte für ihn. Der Mann ist Richter und hat entschieden, dass Rocchigiani vom 21. März 1998 bis zum 15. April 2000 Weltmeister des Weltverbandes World Boxing Council (WBC) im Halbschwergewicht war. Das Urteil, das Owen vor dem Federal District Court in Manhattan fällte, ist gestern bekannt geworden.

Bereits im September war Rocchigiani, der am 10. Mai in Stuttgart gegen den Berliner Thomas Ulrich sein Comeback bestreiten wird, im Rechtsstreit mit dem WBC vom Gericht eine Schadensersatzsumme von 30 598 628 Dollar zugebilligt worden. Dass ein Boxer erst mit jahrelanger Verspätung erfährt, dass er Weltmeister war, mutet seltsam an, aber es passt zu einer ausgesprochen merkwürdigen Geschichte. Richter Owen kam zu der Feststellung, dass der damals vom WBC als Weltmeister geführte Roy Jones Jr. 1997 seine „Position als Champion freiwillig abgegeben habe“, heißt es in dem Urteil. Der Amerikaner hatte seinerzeit erklärt, ins Schwergewicht wechseln zu wollen. Den daraufhin vakant gewordenen WBC-Titel habe sich Rocchigiani mit seinem Punktsieg am 21. März 1998 in Berlin gegen Michael Nunn (USA) erkämpft.

Drei Monate danach war ihm vom WBC der Titel ohne plausible Begründung aberkannt worden und der in den USA weit besser zu vermarktende Jones wurde wieder als Weltmeister geführt. Jones ist inzwischen Schwergewichts-Weltmeister des konkurrierenden Weltverbandes World Boxing Association (WBA). „Das Urteil von Richter Owen ist sehr mutig. Das WBC wurde für den Versuch verantwortlich gemacht, Rocchigianis Karriere einen technischen K.o. zu verpassen“, sagte US-Anwalt Richard H. Dolan, der zusammen mit dem Berliner Björn Ziegler für Rocchigiani als Rechtsbeistand fungierte. Außerdem bringe das Urteil „eine große Dosis an Weltgerechtigkeit in einen Sport, der zu lange gestunken hat von hinterlistigen und zweifelhaften Geschäften“.

Im Besitz des WM-Titels war Rocchigiani laut Gerichtsurteil bis zur Niederlage am 15. April 2000, als er in Hannover gegen Dariusz Michalczewski aus dem Hamburger Universum Boxstall in der zehnten Runde durch technischen Knockout verlor. In Folge der Querelen mit dem WBC war Rocchigiani über 25 Monate nicht in den Ring gestiegen. Dolan kündigte an, „jeden Aspekt des Urteils zu vollziehen – von der Korrektur der Rekordbücher bis zum Einsammeln der Dollar.“ In den Geschichtsbüchern wird Rocchigiani jetzt als zweifacher Ex-Weltmeister geführt. Vom 11. März 1988 bis zum 27. Januar 1989 war er bereits im Besitz des Titels der International Boxing Federation (IBF) im Supermittelgewicht.

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