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Sport: Wenig vorhersehbar

Matthias Sammer ist eine Führungspersönlichkeit, gilt aber nicht gerade als diplomatisch geschickt

Berlin - Im September 1990 bestritt die Fußball-Nationalmannschaft der untergegangenen DDR ihr letztes Länderspiel. Fast alle Nationalspieler, die damals in der Bundesliga spielten, hatten aus den unterschiedlichsten Gründen abgesagt. Bis auf Matthias Sammer. Lange war ungewiss, ob die Mannschaft überhaupt vollzählig wird. 13 Spieler fuhren schließlich nach Brüssel. Nach dem Spiel hat sich Sammer hingestellt und den Spielern und Journalisten gesagt: „Ihr sollt wissen, dass ich eigentlich auch nach Hause fliegen wollte.“ Sammer tat das dann aber doch erst, nachdem die Not-Elf das Spiel gegen Belgien mit 2:0 gewonnen hatte. Zweifacher Torschütze: Matthias Sammer.

Der 38 Jahre alte Sachse war nie einer, der den einfachen Weg gegangen ist. Auch seinen neuen Job, den des DFB-Sportdirektors, hätte er leichter haben können. Im vergangenen Herbst noch hatte Sammer Bundestrainer Klinsmann und Nationalmannschafts-Manager Bierhoff mitgeteilt, dass er sich mehr als Trainer sehe. Gestern sagte: „Es ist eine tolle Herausforderung für mich, meine eigenen Erfahrungen in die Nachwuchsarbeit einbringen und dabei neue Impulse für den Fußball setzen zu können.“

Das Dresden der DDR, wo Sammer geboren wurde und aufwuchs, hat ihn geprägt. Als Kind und als Heranwachsender. Im Alter von 17 Jahren debütiert er in der Mannschaft von Dynamo Dresden unter seinem Vater Klaus als Trainer. „Ich habe meine ganze Kindheit dem Fußball geopfert. Ich war nicht einmal im Ferienlager“, hat Sammer einmal erzählt.

Nach dem Mauerfall wird Sammer zur sporthistorischen Figur. Als erster Fußballer aus der DDR spielt er in der Auswahl des DFB, mit der er 1996 Europameister wird. In diesem Jahr wird er Fußballer des Jahres in Europa. Mit dem VfB Stuttgart wird er 1992 Meister, das anschließende Gastspiel bei Inter Mailand gerät zum Fiasko. Anschließend wird er mit Borussia Dortmund zweimal Meister, gewinnt die Champions League und holt den Weltpokal. Wegen einer schweren Knieverletzung muss er 2000 seine aktive Laufbahn beenden. Sammer wird Trainer. Mit 34 Jahren führt er 2002 Dortmund als jüngster Meistertrainer in der Bundesliga-Geschichte zum Titel. Zwei Jahre später wird er entlassen. Sammer übernimmt das Traineramt in Stuttgart und muss auch dort vorzeitig gehen.

Seine Herkunft und sein Talent, seine harte Ausbildung in der Kinder- und Jugendsportschule der DDR und sein bisweilen explosives Temperament haben sich mit den westlichen Profierfahrungen zu einer echten Führungsfigur verschmolzen. Matthias Sammer hat eine starke Persönlichkeit. Schweiß und Leistung kennzeichnen sein Wirken. Er hat Anführerqualitäten und ist ein streitbarer Geist. Er ist gewissenhaft, ehrgeizig aber auch dickköpfig, bisweilen gar verbissen.

Sammers fachliche Kompetenz ist unbestritten, ebenso seine Defizite in Sachen Diplomatie. Sammer, der als Spieler und Trainer stets das Kollektiv, die Mannschaft über alles stellte und danach handelte, hat von seinem Wesen her etwas von einem Einzelkämpfer. Im Osten war er unbequem trotz Parteibuchs. Auch im Westen eckte er an. Auf der einen Seite ist da der bescheidene, höfliche und gelegentlich witzige und ironische Familienvater. Auf der anderen Seite ist der ungeduldige und aufbrausende Hitzkopf. Er legte sich mit seinen Mitspielern an, führte lautstarke Dispute mit seinen Trainern, fauchte Schiedsrichter an und fuhr Journalisten über den Mund.

„Grenzenlose Ehrlichkeit“ hat er einmal als seinen wesentlichsten Charakterzug genannt. Der DFB gewinnt mit Matthias Sammer sicher einen ungewöhnlichen Menschen, einen, der wenig vorhersehbar funktioniert.

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