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Sport: Wettlauf nach Olympia: Die zweite Chance

Als Michael Schirner vor kurzem auf dem Flughafen Tegel landete, da traute er seinen Augen nicht. Ein Mann mit Polaroid-Kamera sprach ihn an und fragte ihn, ob er ein "kleines Andenken von Berlin" haben wolle.

Als Michael Schirner vor kurzem auf dem Flughafen Tegel landete, da traute er seinen Augen nicht. Ein Mann mit Polaroid-Kamera sprach ihn an und fragte ihn, ob er ein "kleines Andenken von Berlin" haben wolle. Eine Minute später hielt Schirner einen Schlüsselanhänger in der Hand. Auf der Vorderseite prangte sein Passfoto, auf der Rückseite das Lächeln des Berliner Olympiabärchens. "Ein schönes Gefühl", sagt Schirner. Der Werbedesigner hatte das Bärchen selbst entworfen. Vor zehn Jahren.

Zwei Punkte und zwei Striche auf gelbem Grund - das sollte das Symbol für Olympia 2000 in Berlin sein. Am Ende war es das Erkennungszeichen einer peinlichen Niederlage. Trotzdem: Das gelbe Bärchen ist nicht tot. Und Berlins Olympia-Hoffnung auch nicht. Im Tagesspiegel hat Peter Hanisch, der Präsident des Landessportbundes, unlängst angekündigt, dass sich Berlin für 2012 bewirbt - wenn sich das Nationale Olympische Komitee (NOK) am 3. November dafür entscheidet, einen deutschen Bewerber ins Rennen zu schicken. Danach will sich die Berliner Politik mit dem Thema befassen. Offiziell beworben hat sich Berlin also noch nicht. Und das hat - mindestens - vier Gründe.

Erstens: das Geld. Berlin hat keins. Im Haushalt fehlen neun Milliarden Mark. Zwar hat die Berliner Wirtschaft eine olympische Starthilfe von zwei Milllionen Mark versprochen. Die würde aber gerade mal für die erste Ausscheidungsrunde innerhalb Deutschlands reichen. Hinzu kommt, dass der neue Senat am Sport sparen will. Vereine sollen nach Plänen der Finanzverwaltung stärker zur Kasse gebeten werden. Das schadet dem Breitensport - und damit dem Ansehen Berlins in der deutschen Sportpolitik.

Zweitens: die Zeit. Berlin ist - verglichen mit anderen deutschen Regionen - im Hintertreffen. Grund: die Vergangenheit. Mit der desaströsen Bewerbung 2000 hat Berlin sein Kapital innerhalb Deutschlands verspielt. Hatten einst alle anderen Städte für Berlin verzichtet, ist dazu niemand mehr bereit. Berliner Avancen werden mit Hinweis auf die einstige Arroganz niedergedrückt. Nordrhein-Westfalens Sportminister Michael Vesper legte die Vorbehalte in den Satz: "Jetzt sind mal die anderen dran."

Drittens: das Volk. Die Olympia-Begeisterung der Berliner ist nicht gerade euphorisch. Die massive Ablehnung der Bewerbung 2000 hallt nach. Schon jetzt wird in linken Stadtzeitungen wie dem "Scheinschlag" Stimmung gegen die "neue Dimension von naiver Ignoranz und Größenwahn" gemacht. Selbst einstige Unterstützer haben Bedenken. Axel Hahn, bis 1995 sportpolitischer Sprecher der FDP und jetzt wieder im Abgeordnetenhaus, winkt ab: "Wir haben andere Sorgen."

Viertens: die Politik. In den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP steht Olympia nicht auf der Prioritätenliste. Die Grünen haben vor der Wahl deutlich gemacht, dass sie von einem Olympia-Abenteuer nichts halten. Im Zuge der Koalitionsgespräche rückt Fraktionschefin Sibyll Klotz zwar davon ab, Vorbehalte hat sie aber weiterhin. "Wenn definitiv keine Folgekosten entstehen, dann werden wir auch über Olympia reden", sagte Klotz dem "Berliner Kurier". Allerdings: Der vehementeste Befürworter der Spiele, der bisherige Sportsenator Klaus Böger (SPD), wird aufs Abstellgleis geschoben. Wie aus Senatskreisen verlautet, ist für Böger wohl kein Posten mehr frei.

Ist es also sinnlos, über Olympia in Berlin zu diskutieren? Hat der Chef des Deutschen Sportbundes, Manfred von Richthofen, Recht, wenn er eine Bewerbung "aussichtslos" nennt? Nicht ganz. Denn es gibt auch gute Gründe, die für Berlin sprechen. Mit gutem Willen kommt man auch auf vier.

Erstens: die Sportstätten. Im Jahre 2012 wird Berlin ein neues Olympiastadion haben und wahrscheinlich eine neue Großhalle. Das Velodrom und die Schmeling-Halle, beide für 2000 hochgezogen, sind in zehn Jahren noch olympiatauglich. Die Schwimmhalle an der Landsberger Allee wäre zu klein - sie müsste nach Vorstellungen des Landessportbundes "temporär erweitert werden". Positiv ist das engmaschige S-Bahn-Netz, auf dessen Strecken ohne Weiteres eine Olympialinie fahren könnte.

Zweitens: die Zeit. Derzeit läuft sie gegen Berlin, doch das könnte sich ändern. Sollte ein anderer deutscher Bewerber 2012 scheitern, werden sich die Augen wieder auf Berlin richten. Ein zunächst angedachtes Junktim des NOK, wonach es nur einen deutschen Bewerber für 2012 und 2016 geben könne, wurde verworfen. Berlin könnte also bis 2016 warten und derweil für bessere Olympia-Laune in der Stadt sorgen.

Drittens: das Volk. In Deutschland müssen von der Olympiastadt Berlin nicht mehr viele überzeugt werden. Eine Umfrage des Instituts Sport und Markt ergab, dass Berlin in der Bevölkerungsgunst weit vor den anderen Bewerbern liegt. Auch das NOK räumt ein: "Diese Ergebnisse geben uns zu denken."

Viertens: die Politik. Die Bundesregierung unterstützt eine deutsche Bewerbung. Offiziell heißt es aus dem Kanzleramt, dass "der Beste das Rennen machen soll". Eine Berliner Bewerbung will der zuständige Ministerialrat im Kanzleramt, Joachim Krannich, aber nicht ausschließen: "Wir beobachten das."

Viel Zeit bleibt der Hauptstadt nicht. Bis Jahresende müssen die Bewerbungsunterlagen für 2012 eingereicht werden. Die Entscheidung, wer für Deutschland startet, fällt dann im Frühjahr. Für 2016 würden Berlins Chancen besser stehen - falls nicht ein anderer deutscher Bewerber im ersten Versuch ein gutes Ergebnis einfährt. Dann müsste die Hauptstadt diesen Bewerber für 2016 unterstützen. Und der Wunsch von Werbedesigner Schirner ginge nicht in Erfüllung: Eine zweite Chance für den gelben Bären.

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