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Sport: Wie beim Bingo

Gewinnt der FC Chelsea in der Champions League nicht gegen Stuttgart, droht Ärger im Verein

London. „Manchester United kann es noch schaffen. Aber wir sind zu weit weg, neun Punkte sind zu viel für uns.“ Was sagt der Trainer des FC Chelsea, der sich gerade mit einer 1:2- Heimniederlage gegen Arsenal aus dem Rennen um die Meisterschaft verabschiedet hat und vor einer Woche im FA-Pokal vom gleichen Gegner mit dem gleichen Ergebnis bezwungen wurde, im nächsten Satz? Vielleicht, dass man sich jetzt eben voll und ganz auf die Champions League konzentrieren muss, wo es im Achtelfinale gegen den VfB Stuttgart (Mittwoch, 20.45 Uhr, live auf Premiere) geht? Nicht Trainer Claudio Ranieri. Der selbst in den bittersten Momenten der Aussichtslosigkeit noch lächelnde Römer hat seine eigene Sichtweise und dazu immer die passende Metapher. „Nein, die Premier League ist für mich wichtiger, das ist die größere Prüfung“, erklärte er in dem bedenklich überfüllten Presseraum am Samstag. „Champions League dagegen ist wie Bingo: da kann man verlieren oder gewinnen.“

Die Königsklasse: reine Glückssache. Wenn das stimmt, wird bald der Zufall entscheiden, ob Chelseas Trainer über die Saison hinaus das Kommando an der Stamford Bridge haben wird. Denn „eine Saison ohne Erfolge“, das hat der von Manchester United abgeworbeneGeschäftsführer Peter Kenyon in den vergangenen Wochen oft wiederholt, „ist eine verlorene Saison für den Verein“. No European Cup, no job, also. Selbst wohlwollende Beobachter glauben nach dem Debakel im Derby nicht mehr, dass sich Roman Abramowitsch mit Ranieris blumigen Versprechungen abspeisen lässt.

Neue Spieler für 180 Millionen Euro hat der Öl-Milliardär dem Italiener zusammengekauft; Arsenal, der nach 26 Spielen immer noch unbesiegte Tabellenführer, investierte bescheidene 1,5 Millionen in Jens Lehmann und holte im Winter für 25 Millionen das spanische Sturmtalent José Antonio Reyes – bezahlt wird in Raten. Beim Monopoly hätte der Sieger vorher festgestanden, aber Fußball ist möglicherweise doch eher wie Bingo; und am Samstagmittag hatte Ranieri leider die falschen Zahlen auf dem Zettel. 14, 4, 8 und 19 hatte er auf dem Spielplan angekreuzt; mit Geremi, Claude Makelele, Frank Lampard und Scott Parker standen somit vier defensive, zentrale Mittelfeldspieler in der Elf. Wie schon in Highbury am Sonntag zuvor hielt das Quartett Arsenals Kunst auf kleiner Flamme, doch eigene Spielkultur konnten die Gastgeber bei all dem Kampf kaum entwickeln. Der verletzte Damien Duff fehlte mit seinen Dribblings und Ideen, einen Spieler mit ähnlichen Qualitiäten hat Ranieri beim Einkaufen offenbar vergessen.

Nach 15 Partien ohne Sieg gegen Arsenal war das Selbstbewusstsein der Blauen angekratzt; nicht mal die frühe Führung nach 27 Sekunden durch den Isländer Eidur Gudjohnson konnte das Team nachhaltig beflügeln. Als Patrick Vieira traf und Edus Abstauber nach einem Aussetzer von Torwart Neil Sullivan – der Ersatzmann von Carlo Cudicini war unter einer Ecke am Ball vorbeigesegelt – das Spiel nach 21 Minuten gedreht hatte, war Chelsea platt. Gudjohnsons Rote Karte (60.) besiegelte früh die Niederlage. Arsenal ließ danach nur noch schweißfrei den Ball laufen - stilvoller wurde ein Ergebnis auf der Insel selten verwaltet.

„Es ist schön, im Fahrersitz zu sitzen“, freute sich Arsène Wenger angesichts der auf sieben Punkte gegenüber Manchester United angeschwollenen Führung. Die Demonstration seiner Mannschaft war so deutlich ausgefallen, dass dem Franzosen hinterher Zeit und Muße blieb, sich auch noch der deutschen Torwartfrage zu widmen: „Jens spielt eine überragende Saison. Ich respektiere Oliver Kahn, aber wer dieses Jahr alle Spiele von Jens Lehmann für uns gesehen hat, könnte zu der Erkenntnis kommen, dass Jens (Anm.: mit seiner Forderung, in der Nationalmannschaft zu spielen) Recht hat. Es liegt an Rudi Völler, ihm eine Chance zu geben.“ Lehmann hatte am Samstag im Guardian noch einmal sein Kicker-Interview bedauert. „Es war nicht meine Absicht, über Kahns Privatleben zu sprechen. Wenn das der Eindruck war, möchte ich mich entschuldigen“, sagte er. Lehmann verbat sich aber auch die Einmischung von Franz Beckenbauer in dieser Angelegenheit. „Ich weiß nicht, warum der mich aus dem Team haben will. Ich habe nichts Schlimmes gesagt, ich habe niemanden beleidigt.“

Weniger versöhnlich wird es bald im englischen Boulevard zugehen – falls Ranieri gegen den VfB Stuttgart nicht gewinnt. „War es das, meine Haie?“, fragte der Italiener am Samstag bittersüß die versammelte Presse zum Abschied. Wahrscheinlich schon.

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