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Wolfgang Thierse kann sich nicht so recht entscheiden, für wen er beim Derby sein soll. Aber als Hertha-Mitglied gibt es zumindest eine Tendenz.

© Thilo Rückeis

Hin und her gerissen: Wie Wolfgang Thierse von Union zu Hertha kam

Hertha-Mitglied Wolfgang Thierse schreibt hier auf, was er an Union bewundert.

Meine Fußballleidenschaft ist schon sehr früh entstanden und ich war damit der Einzige in meiner Familie. Ich erinnere mich sehr lebendig an meine Begeisterung beim Anhören der Rundfunkübertragung des Weltmeisterschafts-Finales 1954: Deutschland gegen Ungarn – und Deutschland gewinnt! Meine Begeisterung war grenzenlos, und mein Vater, der mein frühes Interesse für Berichte im Westradio kannte, wunderte sich über meine Leidenschaft nun auch für den Fußball. Als Kind habe ich auch selber Fußball gespielt, ich war „rechter Verteidiger“ – oder „rechter Läufer“, wie die Position damals noch hieß – und an mir kam keiner vorbei (oder sagen wir fast keiner).

Zu DDR-Zeiten waren die Mannschaften, denen meine Sympathien gehörten, die beiden Thüringer Oberligamannschaften Turbine Erfurt und Motor Carl Zeiss Jena. Ich bin ja nach der Vertreibung aus meiner Geburtsstadt Breslau in Thüringen aufgewachsen. Und später, während meines Studiums in Berlin, war es eine schwierige Situation für mich, meine Leidenschaft einfach auf einen anderen Verein zu übertragen. Zum BFC Dynamo konnte und wollte ich nicht gehen. Das war schließlich der Stasi-Verein, dessen Chef Mielke zugleich der Stasi-Chef war. Wenn man sich daran erinnert, diese absurde Fußballsituation: BFC Dynamo wurde bis zum Ende der DDR in den 80er Jahren bestimmt zehnmal hintereinander DDR-Meister. Es war stinklangweilig, denn man wusste, selbst wenn der BFC Dynamo spielerisch nicht besser ist als andere Vereine, die Schiedsrichter sorgten schon dafür, dass der BFC gewinnt und Meister wird. Also gehörte meine Sympathie eher dem 1. FC Union.

Aber Union war ja leider nicht allzu oft in der Oberliga der DDR. Also habe ich von Berlin aus immer noch mit Sympathie nach Erfurt und Jena geguckt. Neben dem Blick nach Jena und Erfurt habe ich aber auch von Beginn an die Bundesliga verfolgt. Meine Begeisterung für Borussia Mönchengladbach, die bis heute anhält, hat einen einfachen Grund. Es war die wunderbare Fohlen-Elf, die Anfang der 70er Jahre unter Hennes Weisweiler mit dem Spielmacher Günter Netzer einen ganz neuen Fußballstil entwickelte, für den man sich einfach nur begeistern konnte. Das war der schönste Fußball, den je eine deutsche Klubmannschaft gespielt hat. Eher auf Angriff setzend, dabei zwar gelegentlich leichtsinnig in der Hintermannschaft, aber es waren immer hoch emotionale Fußballspiele. Das vergisst man nie und das prägt die Zuneigung zu einem Verein, auch wenn er in den letzten 10 bis 20 Jahren leider nicht mehr so gut ist.

Nach der Wiedervereinigung bin ich – um Bundesligaspiele live und vor Ort zu sehen – selbstverständlich zu Hertha BSC gegangen und habe mitgezittert mit der „Alten Dame“: Dass sie aufsteigen und nicht wieder absteigen, dass kein neuer Skandal passiert, dass kein finanzielles Fiasko eintritt. Auch so etwas bindet ja Anhänger an einen Verein und verbindet sie. Schließlich bin ich auch Mitglied geworden und hoffe sehr, dass Hertha BSC in dieser Saison der Wiederaufstieg gelingt.

Aber natürlich sehe ich auch mit großem Vergnügen und mit viel Sympathie, welche Leidenschaft Union Berlin an sich bindet. Welche treuen Fans sich dort versammeln, dass sie sogar Zeit, Geld und körperliche Kraft eingesetzt haben, um dem Verein ein besseres Stadion zu bauen, das ist wirklich bewundernswert.

Bei Lokalderbys sind Überraschungen sicher, das weiß man. Einen Tipp für das Duell zwischen Hertha und Union wage ich deshalb lieber nicht abzugeben.

Wolfgang Thierse wohnt in Prenzlauer Berg und ist Mitglied von Hertha BSC. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und SPD-Politiker ist Vizepräsident des Deutschen Bundestages.

Wolfgang Thierse

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