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Sport: Wiedergutmachung für Salt Lake City

Von Helmut Schümann Daegu. Um 17.

Von Helmut Schümann

Daegu. Um 17.25 Uhr pfiff der Schweizer Schiedsrichter Urs Meier das Spiel im Stadion von Daegu ab. Um 17.27 Uhr gingen Südkoreas Spieler zu den Zuschauern und verabschiedeten sich. Mehr aus Höflichkeit als aus Freude, denn das 1:1 gegen die USA brachte sie dem ersehnten Achtelfinale keinen Deut näher. Um 17.45 Uhr kamen Koreas Spieler frisch geduscht, umgezogen, abreisefertig wieder aus der Umkleidekabine. Zwanzig Minuten! Sie sind halt schnell, die Koreaner.

Schnell draußen waren sie auch. Nahezu die gesamte Mannschaft eilte durch die Mixed-Zone, wort- und grußlos. Stürmer Hwang Sun-hong kam etwas später, wahrscheinlich lag’s am eingeschränkten Sichtfeld, Hwang zierte ein Veilchen. Park Ji-sung kam noch etwas später, der hatte den rechten Knöchel in kühlendes Plastik gepackt. Später wurde ein Satz des Torwarts Lee Woon-jae kolportiert: Müde seien sie eben – und enttäuscht. Man kann das verstehen.

Gedacht war das ja alles anders, gedacht war der Tag als zweiter Nationalfeiertag – als erster steht ja nun der 4. Juni, der Tag des Sieges über die Polen. Noch so ein Sieg und Südkorea wäre schon fast ins Achtelfinale marschiert. Gerichtet war alles fürs Fest: Der Autokonzern Kia hatte noch mal eine Lotterie ausgelobt, die Konkurrenz von Daewoo einen Gewinn von einer Million Won versprochen, bei LG Electronics sollte man sich Fernsehgeräte schenken lassen können und Korean Airlines hatte angekündigt, wenn Korea in die Runde der letzten 16 Mannschaften einläuft, bis zum Ende der WM 16 Prozent Rabatt auf alle Flüge zu gewähren.

Das Land taumelte im Glück, zumindest organisierte es seinen Enthusiasmus trefflich. Früh am Morgen hatte am Hauptbahnhof von Seoul eine Mitarbeiterin des Fan-Klubs Red Devils erzählt, dass sich seit dem Polen-Spiel 100 000 Menschen als Mitglieder bei den Roten Teufeln angemeldet hätten, das macht eine Gesamtmitgliederzahl von derzeit 500 000. Fünf Millionen rote T-Shirts mit der Aufschrift „Be the Reds“ sind seit dem 4. Juni verkauft worden. Auch dem politischen Problem – die Regierung befürchtete antiamerikanische Ressentiments – war vorbeugend begegnet worden. Die amerikanische Botschaft in Seoul steckte in einem weiträumigen Kordon, 10 000 zusätzliche Polizisten und 900 Soldaten kontrollierten Daegu.

An der Organisation also lag es nicht, dass die Nacht zum Dienstag normale Länge hatte, es lag wohl doch mehr an Koreas Mannschaft. Bruce Arena, der amerikanische Trainer, hob sie zwar hinterher in den Himmel, nannte ihre Fitness „outstanding“, ihre Schnelligkeit enorm, aber dass sie eine Halbzeit lang nur Wind gemacht hatten, ohne einen Sturm zu entfachen, das sagte er nicht. Und so erfreute es die wieder bis zur Schmerzgrenze lärmenden Zuschauer, die immer prompt antworten, wenn die Rhythmiker auf die Trommeln einschlagen, auch wenn nichts, rein gar nichts Aufregendes passiert. Das war in diesen ersten 45 Minuten im Mittelfeld ordentliches Pressing wie gegen die Polen, war dann der gleiche Flitzefußball wie am historischen Tag – aber im Strafraum nur noch aktionistisches Gewusel. „Sie spielen mit viel Power und viel Herz“, sagte Bruce Arena – und mit wenig Verstand, müsste man wohl hinzufügen.

Umgekehrt agierten die Amerikaner, kühl, clever, erfolgreich. John O’Brien hatte einen feinen Pass auf Clint Mathis geschlagen (das ist der mit dem Irokesenschnitt wie zuletzt Christian Ziege, aber mit mehr Zug im Spiel). Mathis hatte wenig Mühe, das koreanische Team mit einem Treffer zu schockieren.

Auf dem Ablaufplan der Animateure stand unmittelbar davor die „Ode an die Freude“ – die Planung kann ja nicht immer mit dem Geschehen Hand in Hand gehen. Zweimal immerhin stimmte die Dramaturgie: Zum einen verletzte sich Hwang, der Volksheld vom letzten Mal, und lief fortan bis zum Pausenpfiff mit Turban herum. Das andere Mal, als Schiedsrichter Meier auf Elfmeter entschied. Kein Entsetzensschrei, als Friedel den unklugen Schuss von Lee Eul-yong hielt. Keine Ahnung, was Konfuzius über verschenkte Geschenke denkt.

Guus Hiddink, der Trainer Koreas, meinte hinterher, dass seine Spieler zu viele Chancen ausgelassen hätten. Dass er ja eigentlich stolz wäre, weil Korea vor wenigen Monaten auf der „Landkarte des Fußballs kaum zu erkennen“ gewesen sei, und nun schon erarbeite man sich Chance um Chance. Was für ein Glück für Südkoreas Trainer, dass Ahn Jung-hwan zwölf Minuten vorher den Ball richtig mit dem Kopf getroffen und den Ausgleich erzielt hatte. Danach lief er zur Torauslinie und imitierte die Bewegung eines Shorttrack-Eisschnellläufers. Damit erinnerte er an erlittene koreanische Schmach im Februar bei den Winterspielen von Salt Lake City. Dort war seinem Landsmann Kim Dong-sung die Goldmedaille im 1500-Meter-Rennen aberkannt worden, wovon wiederum Amerikas Shorttrack-Star Apolo Ohno profitiert hatte. Solch späte Genugtuung baut auf und hält die Hoffnung hoch, am Freitag gegen Portugal mit vielleicht einem, besser drei Punkten noch einen Nationalfeiertag ausloben zu können.

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