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Sport: Wir fahren für Madagaskar

Die Brüder Razanakolona führen das afrikanische Land mit ihrem Ski-Start beim Wintersport ein

Den größten Ärger gab es vor zwei Wochen an der Grenze nach Liechtenstein. Im Zuge ihrer olympischen Mission waren die Razanakolona-Brüder unterwegs in die Schweiz, als sie von einem skeptischen Grenzbeamten gestoppt wurden. „Zwei junge Kerle, die aus Österreich raus und nach Liechtenstein rein wollen, dazu mit einem Schweizer Nummernschild. Und unsere Pässe haben wir auch nicht gefunden“, erzählt Philippe, der ältere der beiden Brüder. „Nichts an uns war glaubwürdig.“ Deshalb sollten sie ihr Auto bis auf das letzte Kleidungsstück ausräumen – doch irgendwann hatte Mathieu Razanakolona genug. Mit ausgebreiteten Armen stellte sich der 1,65 Meter große Mann vor den strengen Grenzer und rief: „Hey, in ein paar Tagen starte ich bei den Olympischen Spielen. Für Madagaskar.“ In dem Moment fand sein Bruder auch die Pässe. Zehn Minuten lang kontrollierte der Beamte die kanadischen Ausweise in einem winzigen Kabuff. „Doch am Ende“, sagt Mathieu Razanakolona, „hat er sogar gelacht.“

Der kräftige junge Mann sitzt im olympischen Dorf in Sestriere und schaut hinaus in die Dunkelheit. Irgendwo da hinten wird er heute Vormittag als erster madagassischer Teilnehmer an Olympischen Winterspielen ein Stück Sportgeschichte schreiben, Razanakolona sagt dazu: „Ich versuche, ruhig zu bleiben.“ Heute startet er im Riesenslalom, am Samstag im Slalom. In den letzten Tagen hat er mit seinem Trainer Richard Lepage an seiner Technik gefeilt. „Die ist okay jetzt“, sagt er.

Überhaupt nicht okay findet der 19-Jährige die Zustände in Madagaskar, der Heimat seines Vaters. Geboren und aufgewachsen sind er und Philippe in Kanada. Von dort stammt ihre Mutter, dort leben die beiden auch heute noch. Doch seit Mathieu Razanakolona mit neun Jahren zum ersten Mal auf die große Insel im Indischen Ozean kam, lässt ihn dieser Flecken Erde nicht mehr los. „Madagaskar ist das schönste Land der Welt, und die Leute dort sind unglaublich freundlich“, schwärmt er. Dann verdüstert sich seine Miene: „Die ganze Armut dort zu sehen, das war ein riesiger Schock für mich.“ Während er das erzählt, ist sein Manager-Bruder gerade auf dem Weg zum Genfer Flughafen, um dort die beiden Hauptsponsoren des Duos zu empfangen: Mutter und Vater Razanakolona. 70 000 US-Dollar haben seine Eltern bereits in das olympische Abenteuer ihres Jüngsten investiert, verrät Philippe. Und damit auch in die Werbemaßnahmen ihrer Söhne für Madagaskar. Im vergangenen Juni haben sie eine Werbetour durch das innerlich zerrissene Land gemacht, in dem vor vier Jahren noch ein Bürgerkrieg tobte. Sie saßen in Talkshows, hielten Vorträge, gaben Interviews. „Dabei“, erinnert sich Philippe Razanakolona, „haben uns am Anfang alle nur schief angeschaut und gesagt: Madagaskar bei Winterspielen – was für eine Schnapsidee. Hier gibt es doch überhaupt keinen Schnee.“ Ihr Alpin-Projekt zur Einführung von Madagaskar in den Wintersport haben sie trotzdem ins Leben gerufen.

Allerdings ist es schwer, die große Wirtschaft für ihre Idee zu begeistern. „Zwei kleine Brüder in dieser großen Welt – das ist den Marketingleuten wohl ein bisschen zu riskant“, vermutet Philippe. Zu den Olympischen Spielen hat es sein kleiner Bruder dank spendabler Eltern trotzdem geschafft. Am Freitagabend war Mathieu Razanakolona dann erst einmal beim Kombinationsslalom der Frauen. „Da war diese junge Chilenin“, sagt er. „Die war im zweiten Lauf acht Sekunden langsamer als die Vorletzte. Aber die Leute haben sie trotzdem angefeuert.“

Den olympischen Geist habe er in dem Moment gespürt, behauptet der Kanado-Madagasse. Er hat sich daraufhin sein eigenes Ziel gesetzt. „Ich will versuchen, in meinem Rennen am Ende nicht acht Sekunden zurückzuliegen.“ Wichtiger als das unfallfreie Wedeln um die Torstangen herum ist ihm aber ohnehin etwas anderes. „Natürlich will ich so schnell sein wie möglich“, betont der Lockenkopf. „Aber meine Hauptmotivation ist es, Madagaskar zu vertreten.“ Deshalb hat der junge Mann mit der doppelten Staatsbürgerschaft auch nie versucht, ins kanadische Olympia-Team zu kommen. „Da hätte ich ja mit der Schule und mit dem Football aufhören müssen“, sagt er. Und Werbung bei Olympischen Spielen hat Kanada auch nicht nötig.

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