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Sport: „Wir passen besser nach Berlin“

Jürgen Klinsmann über eine logische Entscheidung, den Grunewald und Diskussionen mit dem DFB

Herr Klinsmann, was gab den Ausschlag für das deutsche WMQuartier in Berlin?

Ich lege Wert darauf, dass es eine rein sachliche Entscheidung war. Berlin als Gesamtpaket passt am besten, eine Metropole mit besten Bedingungen. Wir wohnen in der Stadt und sind doch für uns. Die Fahrt zum Trainingsgelände von Hertha BSC ist kurz, wir haben die Bedingungen dort kennen gelernt während des Länderspiels gegen Brasilien. Das hat uns sehr gut gefallen, deswegen ist uns die Entscheidung sehr leicht gefallen. Und auch für Sie und Ihre Kollegen von den Medien ist das doch eine ganz gute Entscheidung, oder?

Welches Signal versprechen Sie sich von Berlin?

Also, Signale wollen wir nicht im Hotel geben, sondern auf dem Fußballplatz.

Sie haben in der Quartierfrage immer von einem Ausleseprozess gesprochen. Wie müssen wir uns diesen vorstellen? Und welche Rolle spielte die Meinung der Spieler?

Also, Auslese ist vielleicht ein wenig überspitzt formuliert. Wir haben uns nach allen Seiten umgesehen und versucht, eine für die Mannschaft optimale Lösung zu finden. Denn nur auf sie kommt es in zwei Jahren an. Natürlich haben wir darauf geachtet, wie die Spieler darüber denken. Wir machen es ja grundsätzlich so, dass wir die Mannschaft möglichst oft in unsere Entscheidungen einbeziehen. Aber entschieden haben natürlich wir, der Oliver Bierhoff, Joachim Löw und ich. Kann schon sein, dass der eine oder andere Spieler gerne an einen See gegangen wäre oder in die Berge. Aber allen kann man es nun mal nicht Recht machen.

Inwiefern können die Spieler denn während der WM von den Vorzügen der Großstadt profitieren? Welche Freiheiten gewähren Sie ihnen?

Das geht um ganz normale Dinge des Alltags. Wir müssen sehen, dass die Spieler über einen sehr langen Zeitraum zusammen sind. Wir hoffen ja, dass die WM für uns einen Monat dauert. Daher ist es wichtig, dass sie auch außerhalb der Trainingsarbeit Angebote haben. Auch wenn wir zweimal am Tag trainieren, wird es genug Freiraum geben. Wenn mittags oder abends nichts anliegt, können die Spieler eben mal schnell ins Kino gehen, einen Kaffee trinken oder sich mit ihren Familien treffen. Das war nicht nur den Spielern wichtig, sondern auch uns als Trainerteam.

Welche Rolle spielen Ihre Erfahrungen dabei? Sie mussten vor der WM 1994 mit der Abgeschiedenheit von Malente vorlieb nehmen. Ein Kurort, in dem 80 Prozent aller Gäste bereits im siebten Lebensjahrzehnt waren.

Natürlich denkt man daran ab und zu zurück. Aber die Zeiten, in denen die Nationalmannschaft kasernengleich in Sportschulen wohnte, sind doch eh lange vorbei. Ein Glück!

Hätten Sie sich auch einen Bundestrainer gewünscht, der so sehr auf die Bedürfnisse der Spieler eingeht?

Ich kann da nicht klagen. Der Franz und der Berti…

… die Herren Beckenbauer und Vogts…

… hatten genügend Verständnis für die Spieler. Beim Franz durfte ich 1990 in Italien mittags und abends immer mit meinem Käfer nach Hause fahren. Ich habe ja damals in Mailand gespielt. Und auch beim Berti ging es sehr locker zu.

Wie gefällt Ihnen die Entscheidung für Berlin ganz persönlich?

Ich freue mich jetzt erst einmal, denn ich bin davon überzeugt, dass diese Wahl die beste ist.

Sie freuen sich, die Berliner auch, aber in Leverkusen wird es Tränen geben, vielleicht sogar Wut. Gibt es irgendeine Kompensation für die Stadt, die der DFB in der Ära Ihres Vorgängers Rudi Völler als Standort auserkoren hatte?

Es war ja auch keine Entscheidung gegen Leverkusen, sondern eine Entscheidung für Berlin. Auch Leverkusen hätte sehr gute Bedingungen geboten, aber wir finden nun mal, dass wir jetzt besser nach Berlin passen. Ich respektiere die Enttäuschung in Leverkusen, aber wir können nun mal nur an einem Ort wohnen.

Berlin ist eine sehr mutige Entscheidung. Fügt sie sich in Ihren offensiven Umgang mit dem Thema WM 2006? Gleich nach Ihrer Amtsübernahme haben Sie gesagt, dass Sie Weltmeister werden wollen.

Nein, ich halte Berlin nicht für eine mutige, sondern für eine logische Entscheidung. Wir haben uns beim Brasilien-Spiel anstecken lassen von der Begeisterung, nicht nur im Stadion, auch in der Stadt. Natürlich war uns klar, dass wir nicht an den Potsdamer Platz gehen können wie im September. Deswegen die Lösung im Grunewald.

Sie sind ein Mann der Tat. Bislang konnten Sie Ihre Vorstellungen ausnahmslos durchsetzen. Haben Sie in dieser heiklen Angelegenheit mit Leverkusen nicht mit mehr Widerstand in der DFB-Spitze gerechnet?

Wir haben unsere Argumente ausgetauscht und eine sachliche Diskussion geführt. Ich verfolge das von meinem Wohnsitz in Kalifornien aus, dadurch erhalte ich mir einen Blick von außen. Da wundert man sich schon manchmal, wie hoch hier bestimmte Dinge gehängt werden. Offensichtlich gibt es im Augenblick kein wichtigeres Thema.

Womit haben Sie die Doppelspitze Gerhard Mayer-Vorfelder/Theo Zwanziger überzeugt? Die beiden DFB-Präsidenten haben immer auf bestehende Absprachen mit Bayer Leverkusen verwiesen. Oder haben die weitreichenden Kompetenzen, die Sie sich vertraglich haben zusichern lassen, den Ausschlag gegeben?

Das hat nichts mit meinem Vertrag zu tun. Ich respektiere die Absprachen, die es zwischen dem DFB, Rudi Völler und Bayer Leverkusen gab. Aber jetzt trägt ein neues Trainerteam Verantwortung, und dieses Team hat sich auf die Lösung Berlin verständigt. Alles Weitere, was die Kompensation für Leverkusen betrifft, überlasse ich dem DFB-Präsidium.

Das Gespräch führten Sven Goldmann und Michael Rosentritt

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